Du sollst nicht hassen
ich kaum ernst nehmen kann, wenn ich sehe, wie die Zeit verrinnt, während ein Wachmann jede einzelne Seite von zweihundert Kinderbüchern umwendet und bedauert, dass der Scanner heute nicht verfügbar sei. Als ich Mitte der neunziger Jahre wöchentlich die Grenze überquerte, waren die Soldaten ruppig und arrogant, aber mit der Zeit und viel Geduld meinerseits lernten sie, mich zu akzeptieren. Wenn ich jetzt vorbeikomme, bitten sie mich manchmal um medizinischen Rat oder fragen nach einem Rezept für die Pille für ihre Freundin. Kürzlich hielt mich eine Security-Dame am Übergang an, um mir eine sehr persönliche Frage zu stellen. Sie wollte am darauf folgenden Samstag heiraten und ihre Menstruation sollte zwei Tage vor der Hochzeit kommen. Sie bat mich um einen Rat, wie sie den Beginn der Periode verschieben könnte. Den hatte ich, und ich freute mich, ein paar Minuten damit zu verbringen, ihr die nötigen Ratschläge zu geben.
Früher war es eine Stunde Fahrt über gepflasterte Ziegenpfade, um von Gaza nach Jerusalem zu gelangen. Heute dauert es, wenn man Glück hat, einen halben Tag – wenn man einen Ausreisepass besitzt, die Grenzen offen bleiben, der Bus pünktlich ist, der Verkehr sich nicht staut und die Sicherheitsoffiziere nicht gerade Lektionen in Geduld erteilen. Der Grenzübergang in Eres ist eine wahre Übung in Toleranz und Kompromissfähigkeit, beides ist in Gaza wie in Israel Mangelware.
Der Grenzübertritt von Gaza nach Ägypten ist noch eine andere Geschichte. Das Reisen ist für Palästinenser und für Bewohner von Gaza nur zu bestimmten Zwecken gestattet: zum Studium, zum Arbeiten oder für eine medizinische Behandlung im Ausland, die in Gaza nicht verfügbar ist. Der Übertritt der Grenze nach Ägypten in Rafah, dem einzigen Zugang vom Gazastreifen aus, ist eine Reise voller Erniedrigung, Leid, Frustration und Unterdrückung.
Es beginnt in den Büros des Innenministeriums, wo die Gazabewohner sich registrieren lassen und eine Begründung und den Beweis für die Notwendigkeit ihrer Reise vorlegen müssen. Patienten müssen ihre Krankenakte und die ärztliche Überweisung für eine Behandlung im Ausland vorlegen. Nur Menschen, die an schweren Herzproblemen oder an Krebs in fortgeschrittenem Stadium leiden, können im Ausland behandelt werden. Gazabewohner, die außerhalb Gazas arbeiten, müssen beweisen, dass sie eine Arbeitserlaubnis und ein Visum für das Land haben, in dem sie beschäftigt sind; Studenten müssen ihre Studienbescheinigung vorlegen.
Die Menschen können nicht selbst entscheiden, wann sie reisen. Sie warten, um zu erfahren, wann die Grenze geöffnet wird. Das ist alle zwei bis fünf Monate für ein, zwei, drei oder vier Tage der Fall. Kaum dass bekannt gegeben wird, wann die Grenze geöffnet wird, stürzt jeder los, um seinen Namen auf der Registrierungsliste zu suchen. Wer Glück hat, findet seinen Namen und die Angabe des Datums, das ihm für den Grenzübergang zugewiesen wurde, welchen Bus er zu nehmen hat und wann die Busse beladen werden. In einen Bus passen vierzig bis fünfzig Passagiere. Die Busse müssen in Gruppen abreisen und sind mit den Zahlen eins bis zwanzig durchnummeriert.
Wegen der schlechten Organisation dauert es meist lange, bis die Busse sich in Bewegung setzen. Lassen Sie mich nur eine dieser typischen Geschichten erzählen. Ich kam um sieben Uhr früh an und unser Bus hatte zunächst vierzig Passagiere. Als wir um elf endlich losfuhren, waren wir 65 Passagiere an Bord, wir alle, samt Frauen und Kindern, zusammengequetscht wie Sardinen in der Büchse. Wir gelangten zu einem Halt, wo wir noch mehr Passagiere einsammelten, die auch noch kontrolliert werden mussten. Es war Sommer und der Bus hatte keine Klimaanlage, wir schwitzten und bekamen kaum Luft. Als der Bus in den Grenzbereich von Rafah fuhr, wurden wir ausgeladen, und unsere Pässe wurden auf palästinensischer Seite durchgesehen und gestempelt. Dann kehrten wir in den uns zugewiesenen Bus zurück. Das allein nahm zwei bis drei Stunden in Anspruch. Aber damit waren wir noch nicht fertig. Der Bus fuhr etwa zweihundert Meter bis zum ägyptischen Schlagbaum. Es standen einige Busse in der Schlange, und jeder brauchte etwa eine Stunde, um seine Passagiere auf die ägyptische Seite der Grenze zu bringen.
Die Menschen wurden unruhig, als Gerüchte die Runde machten, dass die Ägypter nicht alle hineinließen und manche zurückschickten. Die Befürchtungen und bösen Ahnungen waren berechtigt. Ich
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