Du sollst nicht hassen
Montag) –, und am Donnerstag kehre ich zurück. Wenn mich die Leute fragen, wie das ist, wünschte ich, sie könnten mit mir kommen und es selbst herausfinden. Eres, das im Norden des Gazastreifens liegt, etwa zehn Autominuten von meinem Zuhause entfernt, ist der einzige Grenzübergang mit einem Ausreisepunkt für Bewohner Gazas, die zu Fuß nach Israel einreisen. (Die anderen Übergänge sind Karni im Osten, der, wenn er offen ist, für den Gütertransport da ist, und Rafah im Süden über die ägyptische Grenze, der für gewöhnlich geschlossen ist.) Es fällt zivilisierten Menschen schwer zu glauben, was hier vor sich geht, die Demütigung, die Angst, die physischen Erschwernisse, die Möglichkeit, ohne jeden Grund aufgehalten und zurückgeschickt zu werden. Seit der Zweiten Intifada ist es Palästinensern nicht erlaubt, mit ihrem eigenen Auto nach Israel zu reisen. Also musste ich jahrelang jede Woche zweimal mit dem Taxi zur Grenze fahren.
Wenn ich donnerstags auf dem Heimweg vom Krankenhaus in Israel das Taxi nahm, bat ich den Taxifahrer immer, zuerst am Einkaufscenter fünf Kilometer vor der Grenze zu halten. Dort versorgen sich Palästinenser, die in der glücklichen Lage sind, diese Fahrt machen zu können, mit allem Nötigen – von der Bremsflüssigkeit fürs Auto bis zu Lebensmitteln, Coca-Cola, Schuhen und Flachbildschirmen. Es kommt uns vor wie ein Einkaufsparadies, ehe wir in ein Land zurückkehren, das abgeriegelt, abgeschnitten und ausgeschlossen ist.
An der Grenze geht man mit seinem Gepäck, mit Aktentasche und Einkaufstüten, zum ersten Kontrollpunkt und stellt sich am Schalterhäuschen an, wo man Pass und Papiere zeigen und sich einer Durchsuchung unterziehen muss. Die israelischen Grenzoffiziere nehmen sich unter Umständen jede Tasche einzeln vor und schauen in jedes Fach, oder sie werfen nur einen flüchtigen Blick auf deine Person und deine Waren; man kann nie wissen, wie gründlich man durchsucht und wie lange man aufgehalten wird. Man kann also auch nie vorhersagen, wann man zu Hause in Gaza ankommen wird. Jenseits des ersten Checkpoints sind keinerlei Transportmittel mehr erlaubt, daher muss man mit all seinem Gepäck zu Fuß zum nächsten Halt gehen: einem makellosen Gebäude aus Stahl, das wie eine Mischung aus einem Flughafenterminal und einem Gefängnis aussieht. Der Weg dorthin steigt leicht an, was für jeden mit Gepäck beschwerlich ist. Das Terminal wurde im Jahr 2004 gebaut, um nach – wie Israel sie nennt – Terroristen zu fahnden. Dieses aufwendige und teure Gebäude mit all seinen Durchleuchtungsapparaten, Überwachungseinrichtungen, Förderbändern und Videokameras ist dafür ausgelegt, 20000 bis 25000 Menschen am Tag durchzuschleusen: Arbeiter, die zu Tausenden die Grenze auf dem Weg zu und von ihren Jobs in Israel passierten, Journalisten, die dutzendweise kamen, um Berichte über Gaza zu liefern, und Hilfskräfte von zahlreichen humanitären Organisationen. Doch seit niemand mehr die Grenze passieren darf, ist dieser Ort praktisch leer; ein paar schlecht gelaunte Angestellte, ein paar Leute, die aus medizinischen Gründen Gaza verlassen dürfen, und ein paar vereinzelte, gelangweilte humanitäre Helfer sind die Einzigen, die ich hier antreffe. Es sieht wie ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm aus, sowohl für israelische Wachen als auch für die Angestellten der Hamas. (Hamas bedeutet »Islamische Widerstandsbewegung« und bezeichnet eine palästinensische Organisation, die Gaza als Teil der palästinensischen Gebiete regiert, seit sie 2007 die Mehrheit im palästinensischen Parlament gewonnen hat.)
Die brandneue Ambulanzklinik, eigentlich für medizinische Notfälle aus Gaza gedacht, befindet sich ebenfalls in diesem Terminal und ist ebenso leer. Es ist eine hochmoderne Einrichtung, die für die Behandlung von dreißig Patienten in der Stunde konzipiert wurde, mit Intensivstation und Ambulanzfahrzeugen für den Transfer in israelische Krankenhäuser. Doch sie steht dort wie ein Monument der Unnachgiebigkeit, das die Menschen voneinander trennt. (Diese Klinik wurde schließlich, zwei Tage nachdem meine Töchter getötet worden waren, mit großem Tamtam eingeweiht. Aber jeder wusste, dass Palästinenser dort gar nicht behandelt werden können, weil sie keine Erlaubnis bekommen, die Grenze zu überqueren. Kurze Zeit später wurde sie geschlossen.)
In der Abfertigungshalle wird man den entsprechenden Schaltern für Frauen, Männer, Ausländer und
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