Du sollst nicht hassen
sind mir gut in Erinnerung geblieben, so zum Beispiel dieser: »Es gibt mehr als eine Lösung für ein Problem. Terrorismus mit Terrorismus und Gewalt mit Gewalt zu begegnen löst jedoch gar nichts.« Sie gab zu, dass es schwerfällt zu vergessen, was hier geschieht: die Demütigungen, die Zwangslage, in Gaza unter Verweigerung grundlegender Rechte praktisch gefangen zu sein, der anhaltende Schmerz der Ungerechtigkeit. »Alle Probleme können gelöst werden, indem wir Vergangenes vergeben und in die Zukunft blicken, aber bei diesem Problem ist es schwer, die Vergangenheit zu vergessen.« Und zu Beginn des Dokumentarfilms sagt sie: »Wir sehen einander als Feinde, wir leben in gegensätzlichen Lagern und begegnen uns nie. Aber wir empfinden alle genau gleich. Wir sind alle menschliche Wesen.«
Als ich die Kinder an jenem Tag am Strand beobachtete, dachte ich an die Punkte in meinem Leben, an denen ich Grenzen überschritten hatte, Grenzen, die die Umstände, die Politiker, die Feindseligkeit der beiden Völker gezogen hatten. Die bittere Armut, in der ich als Kind gelebt hatte, die Chancen, die ich dank meiner schulischen Leistungen erhalten hatte, der Sechs-Tage-Krieg, der mein Denken veränderte – all dies hat mein Leben geprägt. Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich in allem das Gute zu erkennen gesucht, und das ist meine Haltung geblieben – auch gegenüber beträchtlichen Hindernissen, die mir zu Herausforderungen wurden. So gelang es mir, von einer Grenze zur nächsten zu gelangen, als hätte ich bei der einen Kräfte gesammelt, um mich für die nächste vorzubereiten.
Wir blieben am Strand, bis unsere Schatten zu sechs Meter langen Silhouetten auf dem Sand anwuchsen. Dann gingen wir zum Olivenhain zurück, packten unsere Sachen zusammen, und die Kinder quetschten sich für die kurze Fahrt nach Hause in die Autos, mit denen meine Brüder und ich an diesem Tag gefahren waren. Sie lachten, schnitten Grimassen und zogen einander auf, wie Kinder das eben tun. Während ich fuhr, hörte ich ihrem Geplapper zu und dachte bei mir: »Wir kriegen das hin, es wird ihnen gut gehen. Zusammen schaffen wir das.«
Exakt vierunddreißig Tage später, am 16. Januar um 16:45 Uhr, wurden in rascher Folge zwei israelische Panzergranaten in das Schlafzimmer der Mädchen gefeuert. Innerhalb von Sekunden waren meine geliebte Bessan, meine süße, scheue Aya und meine kluge und bedachte Mayar tot und mit ihnen ihre Cousine Noor. Shatha und ihre Cousine Ghaida wurden schwer verletzt. Schrapnells streckten meinen Bruder Nasser nieder, aber er überlebte.
Die Auswirkungen des Bombardements wurden live ins israelische Fernsehen übertragen. Weil das israelische Militär Journalisten den Zugang verboten hatte und jeder wissen wollte, was in Gaza geschah, gab ich Shlomi Eldar, dem Chefsprecher des israelischen Channel 10, täglich Interviews. An diesem Tag waren wir für den Nachmittag verabredet. Minuten nach dem Angriff auf unser Haus rief ich ihn beim Sender an; er machte die Live-Nachrichtenberichterstattung und übertrug das Telefonat in der Sendung.
Die Nachricht ging blitzschnell um die Welt und tauchte bei YouTube und in der Blogosphere auf. Nomika Zion, eine Israelin aus Sderot, einer Stadt, die gerade noch in Reichweite der Kassam-Raketen liegt, sagte:
»Das Leiden der Palästinenser, das die Mehrheit der israelischen Gesellschaft nicht sehen will, hat eine Stimme und ein Gesicht bekommen. Das Unsichtbare ist sichtbar geworden. Für einen Moment war es nicht nur einfach der Feind, ein ungeheurer, dunkler Dämon, den zu hassen so leicht und so bequem ist. Da war ein Mann, eine Geschichte, eine Tragödie und so viel Leid.«
Das ist es, was mir geschehen ist, meinen Töchtern, Gaza. Das ist meine Geschichte.
ZWEI
Eine Kindheit als Flüchtling
Ich kann meine Vergangenheit nicht schildern, ohne zuvor die gegenwärtigen und täglichen Auswirkungen der jüngsten Geschichte und qualvollen Politik in Palästina, Israel und im Nahen Osten umrissen zu haben. Wenn Sie dann in die Vergangenheit eintauchen, werden Sie, so hoffe ich, die erbarmungslose Absurdität eines Systems einzuschätzen wissen, das es Menschen verwehrt, menschlich zu sein.
Ich bin einer der wenigen Palästinenser, die die Erlaubnis haben, in Israel zu arbeiten. Da ich in Gaza lebe, überquere ich zweimal in der Woche die Grenze bei Eres. Ich gehe am Sonntag in Israel zur Arbeit – sofern die Grenze nicht geschlossen ist (in dem Fall gehe ich am
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