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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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konfrontierten mich jedes Mal mit Zeichen der Vergangenheit: alte Steinhütten und Lagerschuppen von palästinensischen Gehöften, die verlassen zwischen den Feldern im nahe gelegenen südlichen Israel stehen. Wo einst Fenster waren, klaffen heute Löcher, die von Unkraut überwuchert sind; die Feuerstellen im Innern sind leer und kalt. Dies sind die leblosen Mahner des alten Palästina; zu den lebenden gehört die uralte Sabra-Pflanze, die hier dem Boden entspringt. Es ist eine kaktusähnliche Sukkulente, die seit Tausenden von Jahren als Hecke diente und die Grenzen palästinensischen Ackerlandes kennzeichnet. Das stachelige Äußere verbirgt eine süße Frucht; die gummiartigen Blätter sind auf ihre Art schön, jedes ist einzigartig, mit seinen kleinen noppenartigen Ausstülpungen.
    Sechzig Jahre lang ist dieses Land mit Bulldozern bearbeitet, neu aufgeteilt und kultiviert worden, als ginge es darum, jegliche Überreste der Palästinenser, die hier gelebt, gearbeitet und sich entfaltet haben, zu entfernen. Aber die Sabra-Pflanze bleibt wie ein unbesiegbarer Wächter stehen und sendet still die Botschaft: »Wir waren hier und dort und unten am Fluss und nahe dieses Wäldchens und jenseits dieses Feldes. Dies ist das Feld, auf dem wir immer schon waren.«
    »Sabra« bedeutet im Arabischen »Geduld und Beharrlichkeit«. Wie die Wurzeln der sturen Sabra sich den Schaufelbaggern widersetzt haben, muss sich das Volk von Gaza tief in seine Erde vergraben und für sein Überleben sorgen.
    Meine Kindheit verging im Schatten eines Versprechens: Wir kehren bald zurück. Vielleicht in zwei Wochen, vielleicht etwas später. Aber schließlich werden wir diesen brutalen Ort verlassen und in das Land unserer Vorväter zurückkehren, in das wir gehören.
    Das Dorf, in dem mein Vater und sein Vater und alle Väter zuvor gelebt hatten, heißt Houg. Es liegt im südlichen Teil von Israel, in der Nähe von Sderot. Um das Land meiner Familie herum lagen Kibbuzim, der Friedhof des Dorfes war ganz in der Nähe, die Schafe grasten, so weit das Auge reichte. Zumindest habe ich das als Kind so gehört, als die Geschichten aus unserer jüngeren Zeit immer und immer wieder erzählt wurden. In unserem baumlosen, provisorischen Flüchtlingscamp erfuhr ich, dass mein Großvater, Moustafa Abuelaish, der Dorfvorsteher war und dass unsere Familie weitläufig und wohlhabend gewesen war, eine der berühmtesten Familien im südlichen Palästina. Die Abuelaishs waren für ihre Großzügigkeit bekannt. Der Name selbst, Abuelaish, bedeutet, dass jeder Ankömmling zu essen bekommt. »El Aish« steht für »Brot«, und Abu ist derjenige, der Brot gibt, gastfreundlich ist und Sorge für das Wohlergehen seiner Gäste trägt.
    Im Flüchtlingscamp, in dem ich geboren wurde, erzählte meine Familie diese Geschichten aus unserem Leben so lebendig, dass sie sich in meinem Kopf fortsetzten, wenn ich einschlief. Aber ich habe diesen Ort niemals gesehen. Wir sind nie zurückgekehrt. Ich wurde, sieben Jahre nachdem mein Vater sein angestammtes Erbe zurückgelassen hatte, geboren. Er wurde weder vertrieben, wie andere nach der Teilung Palästinas und der Gründung des israelischen Staates 1948, noch wurde seine Familie zerstört, wie andere während der Massaker, die in der gesamten Region stattfanden. Nein, mein Großvater väterlicherseits entschied, dass es für die gesamte Großfamilie das Klügste wäre zu emigrieren. Nur für kurze Zeit, bis sich die furchtbare Spannung gelegt hätte. Er wollte, dass die Familie ihre Würde und Ehre bewahrte. Es gab Gerüchte von Massakern in der Nähe des Bauernhofes unserer Familie, beängstigende Geschichten von Leuten, die Zeugen geworden waren, wie man ihre Nachbarn abgeschlachtet hatte. Er wusste nicht, ob an den Gerüchten etwas dran war, aber um der Sicherheit der Familie willen musste er handeln.
    Gaza war nicht weit von Houg entfernt. Es war einer der sicheren Orte, der am nächsten lag, und er war als Ansiedlungsort für die Palästinenser vorgesehen. Der andere Zufluchtsort, die West Bank, war meiner Familie fremd und unvertraut. Also ging sie nach Gaza. Doch die Erinnerung an unser früheres Leben in Houg zog sich als ständiges Thema durch meine Kindheit. Da war immer das Versprechen, immer die Botschaft, dass wir die Familie Abuelaish waren – diejenigen, die sich um andere kümmerten, die Gäste bewirteten, die zum Land gehörten. Mein Vater gab die Besitzurkunde seines Hofes nie auf. Auch wenn heute das Land

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