Du sollst nicht hassen
ihren Familien getrennt worden waren und einige Familienmitglieder überhaupt nicht mitgekommen waren.
Wir blieben für drei oder vier Tage auf den Feldern, schliefen auf dem Boden und aßen die Äpfel und Aprikosen aus den Obstgärten, bis alles vorüber war. Als wir vorsichtig in unsere Häuser zurückkehrten, sahen wir, dass Menschen, die keinen Zufluchtsort gefunden hatten, Löcher in den Boden gegraben hatten, dort hineingesprungen waren und sich mit einem Stück Blech bedeckt hatten. Viele unserer Nachbarn waren getötet worden oder wurden vermisst. Die israelischen Verteidigungstruppen hatten Gaza besetzt. Überall in den Straßen waren Panzer und Soldaten, die ihre Gewehre auf uns gerichtet hielten, während wir nach Hause gingen. Ich hatte nie zuvor israelische Soldaten gesehen. Als Lautsprecher plötzlich bekannt gaben, dass sich alle Einwohner auf dem öffentlichen Platz in der Mitte des Jabaliya-Camps versammeln sollten, war ich überzeugt, wir würden alle getötet. Der Platz war das Hauptwassersammelbecken für Regenwasser und Abwasser des gesamten Camps, aber da Sommer war, war das Wasserloch leer. Die Soldaten verlangten, dass wir uns um das leere Wasserloch herum aufstellten. Ich dachte, wir würden erschossen werden. Aber alles, was die Soldaten taten, war, einige junge Männer zu verhaften und sie ins Gefängnis zu bringen. Dann sagten sie uns, wir sollten in unsere Häuser zurückkehren und keine der Vorschriften missachten; die wichtigste war die Ausgangssperre von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Für mich war das das Ende des Sechs-Tage-Krieges. Fast niemand hatte sich so verhalten, wie ich es von ihnen erwartet hatte. Weder die Eltern, die ohne ihre Kinder fortgerannt waren, noch die Soldaten, von denen ich angenommen hatte, sie würden uns töten.
Dieses Wissen verunsicherte mich. Es machte mich aufmerksamer für das, was die Leute sagen und was sie tatsächlich tun. Ich erkannte schließlich, dass meine eigene Armut nicht das Einzige war, das mir im Weg stand. Ich begann Fragen zu stellen: Warum waren die Israelis so und wir so? Wie kam es, dass es einen Unterschied darin gab, wie wir behandelt wurden? Schließlich begann ich im Alter von zwölf Jahren, genauer hinzuschauen, um die Umstände, unter denen ich lebte, besser verstehen zu können.
Schon bald nach dem Sechs-Tage-Krieg begannen israelische Touristen die Teile des Gazastreifens zu besuchen, die immer schon floriert hatten, die Gegenden, in denen die Gazabewohner schon gelebt hatten, ehe die Flüchtlinge eintrafen. Der Fisch und die frischen Früchte der Region waren für die Israelis besonders attraktiv. Ich sah ihre Ankunft als Möglichkeit an, Geld zu verdienen. Ich trug ihre Einkaufstaschen und ihre Obstkisten. Ich ging die sechs Kilometer vom Jabaliya-Camp bis Gaza-Stadt zu Fuß mit einem Korb, den ich an Riemen über der Schulter trug, und verdiente so ein wenig Geld.
Als im September 1967 das neue Schuljahr anfing, begann ich zum ersten Mal, Zweifel an meinen Zielen zu hegen. Warum machte ich mir Gedanken um die Schule, wenn wir besetzt waren und die Zukunft so trostlos zu sein schien? Ich war nun älter und verstand allmählich besser, was die Konsequenzen der Besatzung waren. Ungeachtet meiner Schulnoten begann ich mich zu fragen, ob es wirklich einen Weg aus diesem Chaos gab. Noch dazu brauchte meine Familie verzweifelt das Geld, das ich verdienen konnte, und ich war gut darin, Jobs zu finden. Warum sollte ich es nicht einfach meiner Familie ein bisschen leichter machen? Als Ältester war es meine Aufgabe, mich darum zu kümmern. Vielleicht sollte ich meinen Traum aufgeben, unser Leben durch Bildung zu verbessern.
Also begann ich in der siebten Klasse, den Unterricht zu schwänzen. Wenn es einen Job gab, ging ich nicht zur Schule. Wenn ich vom nächtlichen Stapeln von Orangenkisten erschöpft war, ruhte ich mich lieber aus, statt zum Unterricht zu gehen. Mein Eltern wussten, dass ich in der Schule fehlte, aber sie dachten beide, dass es besser sei, zu arbeiten und Geld zu verdienen, statt etwas zu lernen. Ich hatte immer versucht, meinen Brüdern und Schwestern ein Vorbild zu sein, aber eine Zeit lang interessierte mich das alles überhaupt nicht.
Dann nahm mich mein Englischlehrer beiseite. Er sagte mir, dass ich ein guter Schüler sei, dass ich intelligent genug sei, um zur Universität zu gehen und einen richtigen Beruf zu ergreifen: als Arzt, Anwalt oder Ingenieur. Er bat mich inständig, die Folgen des
Weitere Kostenlose Bücher