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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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unser Wasser holten. Unten am Fuß eines Wasserhahns lag Glas herum. Ich war so vertieft in das Spiel mit dem Wasser, dass ich hinfiel und mir meinen Arm und den Fuß aufschnitt. Meine Mutter musste alles stehen und liegen lassen und mich ins Gesundheitszentrum der Vereinten Nationen bringen, damit die Schnittwunde in meinem Fuß genäht werden konnte. Sie schimpfte dabei auf dem ganzen Weg mit mir.
    Doch die Wahrheit ist die: Die stärksten Erinnerungen an die Zeit meines Heranwachsens in Jabaliya habe ich an den Gestank der Latrinen, an den nagenden Schmerz des Hungers in meinem Magen, an die Erschöpfung nach dem Milchverkaufen so früh morgens, um das bisschen Geld zu verdienen, das für meine Familie so wichtig war, an die ängstliche Sorge, ob ich es schnell genug schaffen würde, um pünktlich in der Schule zu sein. Ich hatte arthritische Schmerzen in meinen Gelenken bekommen, und wenn ich müde war, war der Schmerz in meinen Beinen erbarmungslos, sodass selbst die Spiele nicht richtig Spaß machten.
    Es stimmt schon, dass der Himmel immer wunderschön war, aber ich erinnere mich nicht, dass ich den Sonnenuntergang jemals bewundert oder den Sonnenaufgang des neuen Tages angeschaut hätte. Das Überleben lässt wenig Zeit für Poesie. In jenen Jahren hatte ich nur zwei Dinge im Sinn: meine Ausbildung und dort herauszukommen.
    Eine gute Ausbildung war der einzige Weg, den Umständen zu entkommen, in denen wir lebten. Als ältester Sohn spürte ich, dass ich derjenige war, der vorangehen musste, aber es war nicht einfach. Ich saß auf dem Boden unseres Ein-Raum-Hauses und machte meine Hausaufgaben beim Licht einer Öllampe, während meine jüngeren Geschwister um mich herum tobten. Ich konnte den Lärm ausblenden und mich auf die Aufgaben konzentrieren, aber manchmal reichte die Konzentration einfach nicht. Mir ist ein Abend im Gedächtnis, an dem ich gerade sorgfältig meine Hausaufgaben machte. Plötzlich fiel ein Wassertropfen aufs Papier, und dann noch einer, und bald waren die Worte verschwommen und bekleckert und liefen die Seite hinunter. Es regnete durch das Dach hinein, meine Hausaufgaben waren zunichte, und ich musste von vorn anfangen.
    Es gab keine Sommercamps, keinen Mannschaftssport oder Filme in diesen Jahren. Zum einen gab es so solche Freizeitmöglichkeiten in Gaza nicht, zum anderen konzentrierte ich mich ohnehin ausschließlich aufs Lernen, und wenn ich nicht in der Schule war oder lernte, dann verdiente ich Geld, um weiterlernen zu können.
    Meine Mutter war wie eine Löwin, wenn es darum ging, uns zu beschützen, aber in dem, was sie von uns verlangte, war sie ebenfalls unerbittlich. Sie erwartete von mir, dass ich mir so viel Mühe gäbe wie sie, um unsere Situation zu verbessern, und wenn ich versagte, büßte ich dafür mit Schlägen. Die palästinensischen Mütter sind Heldinnen. Sie sind diejenigen, die das Überleben möglich machen. Sie geben jedem zu essen, bevor sie sich selbst etwas nehmen. Sie geben niemals auf, und sie gehen alle Hindernisse an, die ihren Kindern im Wege stehen. Für meine Mutter stand das Überleben stets an erster Stelle. Schule war wichtig, aber sie hatte nicht denselben Stellenwert wie eine Arbeit. Wenn ich Geld verdienen konnte, war sie dafür, dass ich den Unterricht ausfallen ließ, um es zu tun.
    Es gibt einen kuriosen Vorfall, der mir in Erinnerung geblieben ist, auch wenn ich erst so richtig verstanden habe, was passiert ist, als ich erwachsen wurde. 1966, ein Jahr bevor der Sechs-Tage-Krieg Ägyptens Verwaltung Gazas beendete und durch die israelische Besatzung ersetzte, lud mich mein Cousin mütterlicherseits ein, mit ihm nach Ägypten zu kommen. Ich war elf Jahre alt, und die Vorstellung, nach Ägypten zu gehen, war ungeheuer aufregend für mich. Ich dachte an die Pyramiden, an die jährlichen Feierlichkeiten zu Ehren von Präsident Gamal Abdel Nasser, und ich wollte wahnsinnig gern in den Zoo. Abgesehen von einem Tag in Gaza-Stadt war ich nie außerhalb des Camps von Jabaliya gewesen. Ich hatte von den Tieren im Zoo und den Pyramiden nur Fotos in Bildbänden gesehen. Über den ägyptischen Präsidenten wurde bei uns viel gesprochen. Ich stellte mir vor, ich könnte den Mann sehen, über den alle sprachen! Mein Cousin bereitete mich vorsichtig auf die Reise über die Grenze vor. Meine Mutter gab mir eine spezielle Jacke, die ich tragen sollte, in die sie Extra-Taschen genäht hatte. Sie gab mir auch ein Paar Schuhe, die mir viel zu groß waren. Mein

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