Du sollst nicht hassen
Schuleschwänzens zu bedenken. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die Schule zu verlassen, aber nachdem er mich zur Rede gestellt hatte, entschied ich, dass ich ihn nicht enttäuschen würde, auch wenn ich dennoch ab und an den Unterricht versäumte, wenn es notwendig war. Meine familiären Verpflichtungen drückten mich weiter, aber meine Lehrer hörten niemals auf, mir Mut zu machen, dabeizubleiben. Ich gab mein Bestes, um sie zufriedenzustellen, besonders meinen Englischlehrer.
Es war üblich, den Schülern in den Winterferien Hausaufgaben aufzugeben. Doch für mich waren die Ferien eine Gelegenheit zu arbeiten, und die konnte ich mir nicht entgehen lassen. Als also die Winterferien der achten Klasse heranrückten, machte ich all meine Englisch-Hausaufgaben im Vorhinein und gab sie zum Korrigieren ab, ehe die Ferien überhaupt angefangen hatten.
Am Ende der achten Klasse ließ ich kaum noch Unterricht ausfallen, aber ich hörte auch nicht auf zu arbeiten. In den Wintermonaten gab es immer Jobs beim Pflücken und Verladen der Zitrusfrüchte auf Lastwagen. In den Sommermonaten ging ich auf die Bauernhöfe und verlud Dünger. Das bedeutete, Mist in zwei Körbe zu schaufeln und die Ladung zu einem Lkw zu tragen. Ich kam mir vor wie ein Lastesel. Der Gestank war fürchterlich, die Sommerhitze beinahe unerträglich, und der Dung schien mehr zu wiegen als ich selbst.
Ich erinnere mich, dass ich zwei Stunden bis zum Bauernhof laufen musste. Das hieß, ich musste um vier Uhr aufstehen, um zum Beginn der Arbeit um sechs Uhr dort zu sein. All das Hin- und Herlaufen war schlimm für meine arthritischen Beine, und meine Gelenke schwollen an und entzündeten sich. Eines Tages stürzte ich und konnte nicht wieder aufstehen. Meine Beine konnten mich einfach nicht mehr tragen. Das Gesundheitszentrum der Vereinten Nationen überwies mich ins Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt.
Ich stellte den Ärzten und Krankenschwestern viele Fragen über die Schmerzen in meinen Beinen und erfuhr, wie ich mir mit hochdosiertem Aspirin helfen konnte. All das faszinierte mich. Die Ärzte und Krankenschwestern waren Palästinenser wie ich. Ich wollte wissen, was sie wussten, leben, wie sie zu leben schienen – mit guten Jobs und all dem Respekt, von dem sie umgeben waren. Ich wusste, dass einer der Ärzte fließendes Wasser in seinem Haus hatte und einen speziellen Raum, der Wohnzimmer hieß, wo die Leute nur bei Besuch zusammenkamen. Aber mehr als von alledem war ich von den medizinischen Behandlungen beeindruckt, von der Tatsache, dass es Medikamente oder Therapien gab, die den Verlauf einer Krankheit beeinflussen konnten. Ich konnte sehen, dass sie wahre Helfer waren. Dort entstand mein Traum, Arzt zu werden. Ich sah, dass ich als Arzt die Möglichkeit hätte, die Lebensbedingungen meiner Familie zu verbessern und gleichzeitig dem palästinensischen Volk zu dienen.
Die Krankenhauserfahrung hinterließ jedoch auch andere Eindrücke in mir. Ich teilte das Zimmer mit einem palästinensischen Mädchen, dessen Familie ihr zu essen brachte. Mengen an Essen, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Das waren offensichtlich keine Flüchtlinge! Sie brachten ganze Bananenbündel mit. Wenn es bei uns zu Hause jemals eine Banane gab, schnitt meine Mutter sie in gleich große Stücke – eins für jedes Kind. Das Mädchen und ich teilten uns einen Schrank in dem Krankenzimmer, und eines Nachts nahm ich eine von ihren Bananen und aß sie. Ich entschuldigte die Tat, indem ich mir sagte, dass der Koran solches Benehmen erlaubt, wenn man hungrig ist.
Eine andere bleibende Erinnerung stellten die Beziehungen dar, die ich zwischen den weiblichen und männlichen Pflegern und den Ärzten beobachtete. Ich sah, dass sie Spaß an ihrer Arbeit hatten. Sie respektierten einander und halfen sich gegenseitig. Die Krankenhauskultur und die Art und Weise, wie Männer und Frauen miteinander umgingen, war sehr verschieden von dem, was ich zu Hause mitbekam. Es gab zum Beispiel Späße und Klatsch über Krankenschwestern und Ärzte, die eine intime Beziehung miteinander hatten. In meiner Welt würden Männer und Frauen nicht einmal zusammen arbeiten, ganz zu schweigen davon, miteinander Witze zu machen. Hier erlebte ich zwischen Männern und Frauen romantische Beziehungen, und das sah für mich völlig normal aus. Da, wo ich herkam, im Flüchtlingscamp, in meiner Straße, meinem Dorf, wäre das nicht möglich gewesen.
Als ich fünfzehn Jahre alt war, hatte ich die Chance, den
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