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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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ausräumen können. Es gab nichts zu retten außer dem Haus selbst, seinen Mauern. Ein üppiger Weinstock hatte jahrelang über der Tür geblüht. Besonders im Sommer wussten wir ihn zu schätzen, wenn die Temperatur bis auf vierzig Grad kletterte und es im Haus unerträglich heiß wurde. Die ganze Familie schlief dann draußen unter der Weinlaube. Als die Soldaten also befahlen, das Haus zu räumen, fragte ich mich, wie man den Weinstock ausgraben und woanders hinbringen könnte.
    Wir sollten nach Al Arish umziehen, eine Stadt im nördlichen Teil der Sinai-Wüste, wo Häuser leer standen, weil die Ägypter, die darin gewohnt hatten, geflohen waren, als die Israelis kamen und die Region besetzten. Aber wie hätten wir das tun können? Wir waren Palästinenser. Wir waren im Flüchtlingscamp von Jabaliya aufgewachsen. Dieses kleine Haus war unser Heim, unser Palast. Konnte keiner verstehen, wie wichtig das für uns war? Es schützte uns im Winter vor der Kälte, dem Regen; es gab uns einen Platz, um zusammen zu sein, uns auszuruhen, gemeinsam zu essen.
    Wir beschlossen zu bleiben. Aber weil wir uns weigerten umzuziehen, bekamen wir keine Entschädigung für unser Haus. Diese Erpressung war unfassbar. Man würde uns das Haus bezahlen, wenn wir uns mit der Vertreibung einverstanden erklärten und diesen Ort für einen anderen, uns unbekannten Ort verließen. Etwa fünf Familien aus unserer Straße erklärten sich bereit umzuziehen, aber sie kehrten wenige Monate darauf zurück. An diesem Tag lernte ich die bittere Lektion, was es heißt, der Macht eines einzigen Mannes ausgeliefert zu sein.
    Die Bulldozer begannen um acht Uhr morgens ihr verheerendes Werk in unserer Straße. Wir kletterten herum, um herabfallende Ziegel einzusammeln, im Versuch, irgendetwas zu retten, um es an anderer Stelle zu verbauen. Wir wurden Zeuge, wie in nur einer Stunde unser Haus und hunderte anderer, die den Panzern im Weg standen, abgerissen wurden. Viele weitere Häuser im gesamten Flüchtlingscamp wurden auf Anweisung von Sharon in einer zweiwöchigen Aktion ebenfalls zerstört. Dann rumpelten die Soldaten in ihren unheilvollen Panzerkolonnen die Straße wieder zurück. Hatte unser Leiden irgendeinen Eindruck auf ihr Gewissen gemacht? Sahen sie uns als Opfer? Oder waren wir einfach namenlose, gesichtslose Wesen, die ihnen im Weg standen?
    In dieser Nacht und in den Nächten darauf schliefen wir in einem Zimmer im Haus meines Onkels. Meine Eltern und Geschwister schliefen nebeneinander auf dem Boden, aneinandergereiht wie Zaunlatten. Ich legte mich ihnen zu Füßen. Unsere wenigen Besitztümer steckten in einem Karton vor der Tür, denn in dem Zimmer war kein Platz, um etwas unterzubringen. Ich war jetzt kein kleines Kind mehr. Ich hatte außerhalb des Landes gearbeitet und mein eigenes Geld verdient. Zu Füßen meiner Familie zu schlafen war demütigend, aber ich hatte einen Plan.
    Ich hatte mit der Arbeit auf dem Madmoony-Hof in diesem Sommer 400 Lira verdient (etwa 110 Euro). Zusammen mit ein paar ägyptischen Pfund, die meine Mutter gespart hatte, hatten wir genug, um ein anderes Haus zu kaufen. Mein Vater war krank gewesen, während ich in Israel war. Es brach mir das Herz, mit ansehen zu müssen, wie vor seinen Augen die einzige Unterkunft zerstört wurde, die seine Familie hatte. Aber ich wusste, dass es ihn stolz und froh machte, dass sein Sohn mit genügend Geld heimgekehrt war, um dieses enorme Problem zu lösen. Meine Brüder waren ebenfalls von mir beeindruckt, und bis zum heutigen Tage erzählen sie den Leuten, dass ich der Familie ein Haus kaufte, als ich erst fünfzehn Jahre alt war.
    Das neue Haus war nicht viel besser als unser altes. Doch es war dort, in diesem auf Zerstörung gegründeten Haus, wo ich über den weiteren Verlauf meines Lebens nachdenken konnte. Der Widerspruch zwischen der warmen Gastfreundschaft der israelischen Familie, die mich in jenem Sommer eingestellt hatte, und der brutalen Gewalt von Sharons Soldaten machte mir bewusst, dass ich mich der Aufgabe widmen musste, an einer friedlichen Lösung der Versöhnung unserer beiden Völker mitzuarbeiten.
    Ich hatte die Zerstörung unseres Hauses gesehen, und bis zum heutigen Tage begleiten mich diese Bilder, aber Hass kam mir nicht in den Sinn – ebenso wenig wie seinerzeit die Politik. Natürlich wusste ich von der Fatah und der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Die PLO hatte 1968 eine Satzung aufgestellt, die die Resolutionen des

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