Du sollst nicht hassen
war der Tag, an dem der Sechs-Tage-Krieg begann. Zuerst ärgerte ich mich vor allem darüber, dass ich die Ergebnisse meiner Prüfungen nicht erfahren würde, dann erst, dass es Krieg geben würde. Ich begriff nicht, was für ein Krieg das war, der da soeben ausbrach. Aber ich lernte dazu.
Es war nicht der erste Krieg in meinem Leben, aber während der Suez-Krise 1956, als Großbritannien, Frankreich und Israel Ägypten am 26. Oktober 1956 angriffen, war ich noch ein Kleinkind gewesen. Seit Israel 1948 die Staatsgründung erklärt hatte, lagen Ägypten und Israel miteinander im Clinch. Mein Vater hatte mir erklärt, dass wir auf einem Pulverfass säßen, das es ständig Grenzstreitigkeiten oder die Androhung eines Angriffs gäbe. Daher waren die Menschen damals nicht überrascht, als der Sinai-Konflikt tatsächlich begann. Ägypten hatte beschlossen, den Suezkanal zu verstaatlichen, nachdem Großbritannien und die USA ein Angebot zurückgezogen hatten, den Bau des Assuan-Staudamms finanziell zu unterstützen. Aber wie bei den meisten Kriegen wurde durch den Sinai-Krieg von 1956 nicht viel gewonnen, er führte zu einer sechsmonatigen brutalen Besatzung durch Israel. In der Folge kamen wir unter ägyptische Verwaltung; ein Zustand, der elf Jahre andauern sollte. (Erst später erfuhr ich, dass es dieser Krieg war, der dem ägyptischen Staatsmann Gamal Abdel Nasser große Bekanntheit einbrachte und dass sich damals die Vereinigten Staaten als Chefunterhändler im Nahen Osten etablierten.)
Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 war etwas ganz anderes. Aus der Perspektive eines Zwölfjährigen kam er aus dem Nichts. Ich wartete ungeduldig darauf, dass die Prüfungsergebnisse gemeldet würden. Doch meine Lehrer waren so mit den Spannungen zwischen Ägypten und Israel beschäftigt, dass sie nur eine Bestanden/Nicht-bestanden-Liste aushängten. Auch wenn unter den Erwachsenen immer viel von einer Vergeltung für die Nakba von 1948 die Rede war, war dieses Gerede für mich als Schuljungen nur ein Hintergrundrauschen. Doch nun wurde aus dem Gewisper im Flüchtlingscamp lauter Jubel, dass dieser Krieg die Israelis schlagen würde. Dem war nicht so.
Er begann am 5. Juni und endete am 10. Juni 1967. In bloß sechs Tagen hatten die Israelis die ägyptische Luftwaffe vernichtet, noch ehe die Flugzeuge überhaupt abgehoben hatten. Und auch die benachbarten Armeen aus Ägypten, Jordanien, Syrien und den arabischen Staaten, aus Saudi-Arabien, Sudan, Tunesien, Marokko und Algerien, die für die Kämpfe ebenfalls Waffen oder Soldaten bereitgestellt hatten, hatten gegen die israelischen Streitkräfte keine Chance.
Im Grunde war es eine unerledigte Sache, die zum Krieg geführt hatte. Nach dem Sinai-Krieg von 1956 waren UN-Friedenstruppen vor Ort eingesetzt worden, die die ehemaligen Kriegsparteien in Schach halten sollten. Im Mai 1967 forderte Gamal Abdel Nasser den Rückzug der Friedenssicherungskräfte der Vereinten Nationen vom ägyptischen Territorium und dem Gazastreifen. Er schloss die Straße von Tiran für alle Schiffe unter israelischer Flagge oder solche, die Material transportierten, das für den Krieg verwendet werden konnte. Arabische Länder schlossen sich an, um die ägyptische Initiative zu unterstützen. Israel zog 70000 Reservisten ein, und sein Kabinett stimmte dafür, eine Offensive zu starten, was für mehrere Wochen zu einer Pattsituation führte. Der Krieg begann, und nach nur wenigen Tagen hatte Israel gewonnen – und die Kontrolle über die Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen, die West Bank, Ost-Jerusalem und die Golanhöhen errungen.
Der Sechs-Tage-Krieg hat noch heute Auswirkungen auf die Geopolitik der Region, aber es waren nicht diese geopolitischen Konsequenzen, die ihn zu einem Meilenstein in meinem Leben gemacht haben. Ich war erst zwölf Jahre alt. Der Krieg war nicht bloß etwas, das im Radio passierte oder durch die Gerüchteküche im Camp verbreitet wurde. Er geschah direkt vor meinen Augen, und es sah aus wie das Ende der Welt.
Israelische Panzer rollten direkt durch unsere Straßen. Das Granatfeuer, die Schüsse und die Feuer, die im ganzen Camp ausbrachen, waren zutiefst beängstigend. Die Menschen flohen, manche ließen ihre Kinder zurück. Es herrschten Chaos, Lärm und Panik. Die meisten Mitglieder meiner Familie machten sich auf den Weg zu einer Obstplantage in Beit Lahia, im Norden des Jabaliya-Camps. Hunderte taten das Gleiche, aber als wir dort ankamen, merkten wir, dass einige der Kinder von
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