Du sollst nicht hassen
kaum mit, dass seine Familie um ihn herum war. Als er ins Koma fiel, nahmen wir ihn mit nach Hause, denn in der Al-Shifa-Klinik konnte man nichts mehr für ihn tun. Ich fühlte mich als Arzt so hilflos. Ich war derjenige, der dem Patienten helfen sollte, aber mein Vater konnte nicht gerettet werden. Ich hatte geschworen, meiner Familie ein besseres Zuhause und genug zu essen zu ermöglichen, wenn ich erst meinen Abschluss hätte, und mein Vater sollte sehen, was er mir bedeutete. Ich würde all das sein, was ihm verwehrt worden war, doch als ich gerade begann, mein Versprechen einzulösen, ist er von uns gegangen. In meinem Herzen lebt die Trauer über seinen Tod immer noch fort. Daher halte ich mich an die drei Dinge, die Muslime zum Gedenken der Toten tun: ihr Wissen und ihre Weisheit an andere weiterzugeben, für den Verstorbenen zu beten und Wohltätiges in seinem Namen zu tun.
Ich war vom Nasser Hospital in Khan Yunis zum Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt gewechselt, aber auch dieses Krankenhaus wurde von Leuten betrieben, die eher wegen ihrer Verbindungen und nicht wegen ihrer Verdienste dort arbeiteten. Ein Kommilitone war der Sohn des Generaldirektors der Gesundheitsbehörde im Gazastreifen. Seine Mutter war die Leiterin der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie im Al-Shifa. Er hatte einen exzellent bezahlten Job bekommen, obwohl er an der Uni eher ein Playboy gewesen war, der keine besonders guten Noten gehabt hatte. Und dann musste ich feststellen, dass er sich so benahm, als wäre er mein Vorgesetzter, ein großer Boss, der mir ständig Anweisungen gab.
Also kündigte ich und bewarb mich um eine Stelle beim Gesundheitsministerium in Saudi-Arabien. Letztlich war dies ein weiterer Fall, bei dem sich aus etwas Schlechtem etwas Gutes ergab. Ich bekam den Job, aber er war tausend Kilometer entfernt, in Dschiddah. Ich kannte mich dort nicht aus, und als mein Onkel sagte: »Die gute Zeit, die du beim Studium in Kairo hattest, muss nun abgearbeitet werden«, fragte ich mich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war. Ich hatte jedoch einen guten Freund aus der Studienzeit, der aus Saudi-Arabien stammte, und ich rief ihn an, um mich nach den Lebensbedingungen in Dschiddah zu erkundigen. Er war der Sohn eines Botschafters, und so hatte auch ich jetzt Verbindungen. Er beschaffte mir den perfekten Job auf der Entbindungsstation von Al-Azizyah, wo ich mich um die Palästinenserinnen kümmern sollte. Es war nicht Gaza, aber ich war für das Wohlergehen von Palästinensern verantwortlich, und es war eine Gelegenheit, Erfahrungen auf dem Fachgebiet zu machen, das mich angezogen hatte, seit ich mich an der Hochschule mit Geburtshilfe und Gynäkologie befasst hatte.
Unnötig zu sagen, dass mir der Job gut gefiel, zumal er mir auch zum ersten Mal erlaubte, einen Freundeskreis aufzubauen und mich finanziell abgesichert zu fühlen. Ich verdiente genug, um meiner Mutter zu helfen, die Reparaturen an unserem Haus in Jabaliya zu bezahlen und meinen Bruder Atta dabei zu unterstützen, auf den Philippinen Medizin zu studieren, auch wenn er bald nach Gaza zurückkam und zur Pharmazie wechselte. Und ich half meinem anderen Bruder, Shehab, mit Geld, sodass er heiraten konnte. Einer meiner Halbbrüder lebte auch in Dschiddah, sodass wir uns gegenseitig besuchen konnten. Ich genoss diese Art des geselligen Lebens, in einem anderen Haus willkommen zu sein, zu reden, zu essen, Geschichten auszutauschen, die Zeit zu haben, etwas anderes zu tun als zu arbeiten. Nur zwei Jahre, nachdem ich mit dieser Tätigkeit begonnen hatte, hatte ich genügend Geld beisammen, um nach Gaza zurückzukehren und zu heiraten.
Nadia und ich heirateten 1987 im Camp von Jabaliya. Nur wenige Tage nach den Feierlichkeiten musste ich zunächst alleine nach Saudi-Arabien zurückkehren, weil sie noch kein Visum hatte und ich ihr keines hatte beschaffen können, solange wir nicht verheiratet waren. Sie kam etwa einen Monat später nach. Wir lebten in einem gemieteten Haus, und wenn wir auch darüber unglücklich waren, so weit von unseren Familien entfernt zu sein, hatte ich doch zumindest meinen Halbbruder bei mir in Dschiddah. In unserer Kultur hat es einen hohen Stellenwert, Familie in der Nähe zu haben.
Zwei Monate nach unserer Hochzeit begann die Erste Intifada. Sie begann genau in meiner Nachbarschaft, in Jabaliya, und breitete sich rasch über ganz Gaza bis in die West Bank und nach Ostjerusalem aus. Niemand weiß genau, wodurch sie ausgelöst
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