Du sollst nicht hassen
die Stirn bieten. Aber die Fatah ging davon aus, dass ich auf ihrer Seite war, und in Abwägung aller Vor- und Nachteile erschien es mir doch besser, mit ihnen zu kooperieren.
Ich war ein Neuling im Wahlgeschäft. Ich dachte, ich wüsste Bescheid und könnte mich allein durchschlagen, aber bald wurde mir vorgeschrieben, was ich sagen, für welche Politik ich eintreten und wie ich auf Fragen antworten sollte. Es ging nicht mehr darum, wer ich war und wofür ich stand: Es ging um meine Verbindungen und darum, wie man sie nutzen konnte. Als ich im nördlichen Gaza um Stimmen warb, in der Region, die ich zu vertreten hoffte, galt ich als eine neue Stimme, als ein Mann mit gesundem Menschenverstand. Aber am Tag der Vorwahlen stürmten ein paar Militante der Fatah mit Maschinengewehren in das Wahllokal. Sie zerstörten die Wahlurnen, erschreckten die Leute fast zu Tode und ruinierten jede Aussicht auf eine faire Wahl. Die Ergebnisse in Nord-Gaza wurden annulliert.
Ein älterer Herr, den ich kannte und sehr respektierte, nahm mich beiseite und sagte: »Lassen Sie sich nicht in diese schmutzigen Spielchen hineinziehen. Kandidieren Sie als Unabhängiger. Ich werde Sie unterstützen.« Und ich befolgte seinen Rat. Was auch immer die Konsequenzen wären, ich würde die Wahlen im kommenden Januar als Parteiloser bestreiten. Als man bei der Fatah realisierte, dass es mir ernst war mit der freien Kandidatur, machten sie mir Lockangebote, damit ich bei ihnen bliebe: Sie würden mich zum stellvertretenden Premierminister machen und meine Wahlkampagne bezahlen, aber ich ließ mich nicht darauf ein. Stattdessen lieh ich mir 35000 Dollar von meinen Brüdern und Freunden, um die Kosten der Kampagne zu bezahlen.
Der Wahltermin rückte näher, und uns wurde bewusst, wie unwägbar die Situation war. Ich trat an, um Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit zu beseitigen, Gesundheits- und Bildungswesen zu verändern und um den Status der Frauen in Gaza zu verbessern. Die Hamas wurde für die Fatah zu einer ernsten Herauforderung, mit einem Programm, das meinem ähnlich war, wenngleich sie gewiss nicht mit Frauenthemen warben. Ihr Wahlslogan war »Wiederaufbau und Wandel«. Sie versprachen, wieder aufzubauen, was von den Raketenangriffen der Israelis und auch von der Autonomiebehörde selbst zerstört worden war. Man warf der Autonomiebehörde Missmanagement, Korruption, schlechte Gesinnung und Amtsmissbrauch vor. Und die Hamas versprach, dies zu ändern.
Die Hamas-Kampagne war außerordentlich gut organisiert. Am Tag der Wahl holten sie Wähler mit Autos ab, sie nutzten Computer, um herauszufinden, wer wahlberechtigt war und wo die Leute wohnten. Dem war die Fatah nicht gewachsen. Ich vertraute immer noch darauf, dass ich im nördlichen Gaza gewinnen würde. Hunderte Menschen kamen, um mich zu unterstützen. Am letzten Tag machten auch meine Kinder und Nadia Wahlwerbung und forderten die Menschen auf, für Izzeldin zu stimmen. Doch am Wahltag selbst gaben neunundsiebzig Prozent der Wähler ihre Stimme der Hamas. In ganz Gaza konnte sich kein einziger unabhängiger Kandidat durchsetzen. Die Hamas erzielte 76 von 132 Sitzen in der West Bank und übernahm die Regierung in Gaza.
Und obwohl ich fest mit einem Sieg gerechnet hatte, ergab sich wie so oft in meinem Leben etwas Gutes aus dem Schlechten. Unmittelbar nach der Wahl begannen in der neuen Re gierung Streitigkeiten. Ich war froh, dass ich nicht mittendrin steckte. Mein Ziel war es, Veränderungen für das Volk herbeizuführen, mich auf Gesundheit, Bildung, Justiz und die Rechte der Frauen zu fokussieren. Noch am Wahlabend wurde mir klar, dass es für mich kein Drama war, verloren zu haben.
Der ganze Vorgang war dennoch interessant, und ich habe eine Menge aus dem Wahlbetrieb gelernt. Ich begriff, dass man in politischen Angelegenheiten nicht immer darauf bauen kann, dass die Menschen auch das tun, was sie sagen. Manche sichern ihre volle Unterstützung zu, gehen in die Wahlkabine und stimmen dann doch für eine andere Partei.
Bald nach der Wahl stellte sich heraus, dass wir jemanden unter uns gehabt hatten, der den Namen unserer Familie in den Schmutz zu ziehen versucht hatte. Als wir die Computer und andere Bürogeräte, die wir uns für die Wahlkampagne geliehen hatten, zurückgeben wollten, fehlte vieles.
Ein Mann aus Jabaliya-Stadt hatte uns während der Kampagne geholfen. Er war bei mir zu Hause gewesen und hatte an meinem Tisch gegessen. Als wir überprüften, wer wann wo
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