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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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der medizinischen Welt und machte mir die Möglichkeiten zur Verbesserung der palästinensischen Gesundheitsversorgung bewusst. Das Gesundheitssystem des Gazastreifens ist völlig zersplittert; die Versorgungsbereiche überlagern sich teilweise und sind untereinander wenig koordiniert, sodass sie den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden können. Die Vereinten Nationen decken immer noch die medizinische Erstversorgung ab, die palästinensische Autonomiebehörde übernimmt den Rest. Aber viele Menschen bleiben unversorgt. Wenn man nur leicht erkrankt, ist alles in Ordnung, aber bei ernsten Erkrankungen muss man außerhalb Gazas behandelt werden. Das wirkt sich natürlich auf den Gesundheitsstatus der Menschen aus. Genau betrachtet sieht es so aus, dass sich jedes Mal, wenn es einen Wechsel in der Verwaltung gab, auch ein Wandel im Gesundheitswesen vollzog, der sich mehr an den Verantwortlichen im Amt als an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte. Ich wollte einen Weg finden, dieses Verhältnis umzukehren.
    Die Schattenseite meines Studienaufenthaltes in Harvard war, dass ich nicht einmal besuchsweise nach Gaza zurückkehren durfte, weil ich mit einem Studentenvisum eingereist war. Die Visabestimmungen waren so strikt, dass ich mein Studium nicht hätte beenden können, wenn ich auch nur für die lange Weihnachtspause in Harvard meine Familie besucht hätte. Also blieb ich für das ganze akademische Jahr in Boston und konzentrierte mich auf das Studium, auch wenn ich meine Familie vermisste.
    Ich gebe zu, dass ich mit der Erwartung nach Amerika kam, Amerikaner seien arrogante Menschen. Bei ihnen zu leben lehrte mich, dass man die Menschen nicht nach ihren Regierungen beurteilen darf. Dies war eine offene, wettbewerbsorientierte Gesellschaft, die auf dem Grundsatz des Erfolges aufbaute. Meine Zeit in Boston zeigte mir, dass die meisten Amerikaner nette Leute und gute Nachbarn sind. Sie als arrogant zu verurteilen wäre so, als wollte man alle Israelis Besatzer und alle Palästinenser Unruhestifter nennen.
    Doch selbst in den vom demokratischen Klima in Harvard geprägten Kursen tauchten die altbekannten Themen des Nahen Ostens wieder auf. Als ich ein Seminar zur Gesundheitsökonomie belegen wollte, gab es zwei Professoren, die den Kurs gaben, den ich brauchte; einer von ihnen war Jude. Ein Studienkollege aus den Vereinigten Arabischen Emiraten riet mir, lieber zu einem anderen Professor zu gehen, weil er sagte, der jüdische Professor hasse die Araber. Ich schrieb mich dennoch für den Kurs bei ihm ein, weil er als Experte auf dem Gebiet der Gesundheitsökonomie galt. Aber ich hatte den Eindruck, er ignoriere mich im Unterricht. War das bloß Paranoia, weil man mich vor ihm gewarnt hatte, oder behandelte er mich wirklich anders als die übrigen Studenten? Ich beschloss, ihn um ein persönliches Gespräch zu bitten. Als ich mich mit ihm traf, sagte ich ihm geradeheraus: »Sie wissen, dass ich Palästinenser bin. Ich weiß, dass Sie Jude sind. Man empfahl mir, nicht in Ihren Unterricht zu gehen, weil Sie mich nicht fair behandeln würden. Ich habe den Eindruck, dass Sie mich im Unterricht ignorieren, und ich wollte fragen, ob das zutrifft.« Er war völlig entgeistert. Er sagte, er wäre nie darauf gekommen, dass ich mich im Seminar vernachlässigt fühlte. Wir sprachen darüber, und als ich versuchte, ihm Beispiele zu nennen, die meine Bedenken belegten, merkte ich, dass sie belanglos und unbedeutend waren und dass ich mich von meinem Kommilitonen hatte beeinflussen lassen. Ich kam mir danach sehr töricht vor und fragte mich, ob er mir mein Misstrauen anlasten würde. Aber das war nicht der Fall. Vielmehr nahm er mich ein paar Wochen nach unserem Gespräch zur Seite, um mir zu sagen, dass eine Sprecherin der Weltbank kommen würde und er mich mit ihr bekannt machen wolle.
    Am 10. Juni 2004 machte ich meinen Abschluss, und am 12. Juni war ich zurück in Gaza. Ich wünschte, meine Familie hätte bei der Abschlussfeier in Harvard dabei sein können. Ich wünschte, meine Mutter und mein Vater hätten aus ihren Gräbern steigen können, um mich, ihren Sohn, einen Jungen aus armen Verhältnissen, zu sehen, wie ich meine Urkunde in Empfang nahm. Ich wollte, dass alle Palästinenser diesen Augenblick mit mir teilten, auch wenn das nicht möglich war. Die Fakultät hisste neben drei anderen die Flagge Palästinas; ich war stolz auf das, was ich war, und auf das, was wir gemeinsam waren.
    Meine Heimkehr war

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