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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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Herz lauter als mein Kopf?
    Als ich Izzeldin so inständig um Hilfe bitten hörte, darum flehend, dass wir Krankenwagen zur Grenze brächten, wusste ich, dass ich das Telefonat nicht einfach abbrechen konnte. Ich sagte den Zuschauern: ›Ich kann jetzt nicht einfach auflegen, also werde ich mich jetzt aus dem Studio entfernen, denn ich kann ihn nicht hängen lassen.‹ Ich nahm mein Mikrofon ab, stand vom Moderatorenpult auf und ging in mein Büro, um den Zuständigen am Checkpoint Eres anzurufen. Ich schrie ihn an, die Grenzen zu öffnen und die Krankenwagen, die wir gerufen hatten, durchzulassen. Mein Produzent schickte mir einen Kameramann hinterher, um zu filmen, was ich tat. In der Zwischenzeit rief ein Militärkorrespondent unseres Senders jeden Soldaten an, den er kannte, und bat ihn um Hilfe.
    Der Live-Teil – der Clip, der auf YouTube um die Welt ging – dauerte circa sieben Minuten. Aber ich wollte meine Telefonverbindung mit Izzeldin nicht abbrechen lassen, daher blieb ich in der Leitung, bis die Krankenwagen die Grenze erreichten.«
    Als ich Shlomi am Telefon hatte, sagte er: »Von unserer Seite aus kommen Krankenwagen, und wir arbeiten daran, dass sichergestellt ist, dass die palästinensischen Ambulanzen die Erlaubnis erhalten, nach Eres zu fahren und den Transport zu übernehmen.«
    Ich legte auf und machte mich mit den Krankenwagen vom Kamal-Edwan-Krankenhaus auf den Weg zur Grenze, als Dr. Zeev Rotstein, der Direktor des Sheba-Krankenhauses, anrief, um zu sagen, dass er die furchtbaren Nachrichten gehört habe. Er sagte mir, ich solle mit den beiden verwundeten Kindern und meinem Bruder Nasser (Shehab blieb zur Behandlung im Kamal Edwan) sofort ins Sheba kommen, er würde alles arrangieren. Er war die Stimme der Vernunft in all dem Irrsinn, dem Chaos und dem unbeschreiblichen Schmerz.
    Als sich die Krankenwagen auf den Weg nach Eres machten, fielen immer noch Bomben, Raketen rasten durch die Straßen, Leute schrien. Es war surreal, aber ich hatte überhaupt keine Angst. Es war, als ob ich emotional in eine unerreichbare Zone geraten sei. Das Schlimmste war bereits geschehen, nun konnte mich nichts mehr schrecken. Mohammed hatte Raffah und Abdullah zum Haus seiner Tante mitgenommen, wo auch Dalal war, und so erfuhr sie, dass Bessan, Mayar, Aya und Noor getötet und Shatha und ihre Cousine Ghaida schwer verletzt waren. Mein Bruder Atta blieb bei ihnen, während wir die Grenze nach Israel überquerten.
    Wie Shlomi versprochen hatte, warteten auf der anderen Seite Ambulanzen, aber Ghaida lag im Sterben, ich nahm an, dass sie den Weg bis ins Sheba-Krankenhaus nicht überleben würde. Sie brauchte einen Helikopter, aber der Übergang war Militärgebiet und Hubschrauberlandungen waren dort nicht erlaubt. Also schickte ich sie ins Barzilai-Krankenhaus in Aschkelon, das zwar nicht die Ausstattung hatte, um ihre schwere Kopfverletzung zu versorgen, aber sie konnten ihr Blutkonserven geben und sie stabilisieren, und, was am wichtigsten war: Dort konnten Sanitätshubschrauber landen. Ich begleitete meine Tochter und meinen Bruder im Krankenwagen ins Sheba, während Ghaida im Krankenwagen ins Barzilai gebracht wurde. Von dort flog man sie kurze Zeit später ins Sheba-Krankenhaus.
    Sämtliche Kollegen, mit denen ich arbeitete und die das Drama im Fernsehen gesehen hatten, hatten sich im Krankenhausfoyer versammelt und auf uns gewartet. Auch Shlomi kam aus dem Studio, um mit mir zu sprechen – es war schon nach Mitternacht. Er war schockiert, mich so voll Blut zu sehen, und wollte wissen, was er noch für meine Familie tun könne. Er hatte bereits mehr getan, als man verlangen kann. Er hatte die Rettungsaktion eingeleitet, die wahrscheinlich das Leben meiner Nichte Ghaida und das Augenlicht meiner Tochter Shatha gerettet hat.
    Daheim in Gaza musste Dalal mit der furchtbaren Nachricht allein zurechtkommen und sich um die jüngeren Kinder kümmern. Sie sagte später, dass sie so dankbar für den Telefonanruf unmittelbar vor dem Einschlag gewesen war:
    »Es war wie eine Telefonkonferenz – wir sprachen alle zugleich. Ich erinnere mich, dass ich zu Bessan und Aya sagte: ›Das ist das erste Mal, dass ich mit allen auf einmal sprechen kann.‹ Sie waren so wichtig für mich. Bessan, Shatha und ich waren beste Freundinnen. Bessan und ich waren an der Uni immer zusammen. Darum weinte ich, als ich fragte: ›Seid ihr in Sicherheit?‹ Sie sagte mir, sie sei in Sicherheit, aber das stimmte nicht. Überhaupt nicht.

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