Du sollst nicht hassen
Dies ist eine so friedliebende Familie.«
Während ich bei Shatha, Ghaida und meinem Bruder im Krankenhaus in Tel Aviv Wache hielt, wurden meine drei Töch ter und meine Nichte in Gaza begraben. Der Koran schreibt vor, dass die Verstorbenen schnell begraben werden sollen, und es war für mich unmöglich, schnell genug die Genehmigung zur Überquerung der Grenze zu bekommen, um rechtzeitig bei ihnen zu sein. Selbst im Tode sind wir von unseren Liebsten getrennt. Und als ob das Geschehen nicht genug gewesen wäre, wurde mir gesagt, dass Bessan, Mayar und Aya nicht neben ihrer Mutter beerdigt werden könnten, weil die israelischen Soldaten niemand in dieses Gebiet ließen. Ihre Gräber sind nun einige Kilometer vom Friedhof in Jabaliya-Camp enfernt, wo Nadia beerdigt ist.
Zeev Rotstein sorgte dafür, dass meine anderen Kinder nach Tel Aviv kamen und beschaffte uns eine Unterkunft in der Nähe des Krankenhauses. Atta, der sich um meine jüngeren Kinder gekümmert und das Begräbnis der Mädchen organisiert hatte, kam ebenfalls. Seine Tochter Ghaida blieb auf der Intensivstation, weil ihre Verletzungen so schwer waren, dass wir uns fragten, ob sie überleben würde. Shatha brauchte weitere Operationen zur Rettung ihres Augenlichtes. Ich erinnere mich, dass Dalal nach einer der Operationen dem Personal und anderen Patienten des Krankenhauses Schokolade anbot; das ist unsere Art, ein gesegnetes Ereignis zu feiern.
Wir kämpften gemeinsam, meine Kinder und ich, und ich versuchte dem Chor der Stimmen, die nach israelischem Blut zur Vergeltung für den Tod meiner Mädchen riefen, etwas entgegenzusetzen. Denn die meisten Menschen, mit denen ich in diesen Tagen sprach, hatten nur einen Gedanken: Rache. Einer sagte: »Hassen Sie die Israelis nicht?« Doch welche Israelis soll ich hassen? Die Ärzte und Schwestern, mit denen ich arbeite? Diejenigen, die halfen, Ghaidas Leben und Shathas Augenlicht zu retten? Die Babys, die ich zur Welt gebracht habe? Familien wie die Madmoonys, die mir Arbeit und Unterkunft gaben, als ich jung war?
Doch das Geschrei nach Vergeltung riss nicht ab. Was war mit dem Soldaten, der die tödlichen Salven aus seinem Panzer abgefeuert hatte? Hasste ich ihn nicht? Das sind genau die Mechanismen, nach denen das System hier funktioniert: Wir nutzen Hass und Beschuldigungen, um der Tatsache aus dem Weg zu gehen, dass wir uns schließlich doch zusammensetzen müssen. Den Soldaten, der mein Haus beschossen hat, wird sein Gewissen längst bestraft haben. Er wird sich fragen: »Was habe ich getan?« Und selbst wenn er das jetzt nicht tut, wird er eines Tages selbst Vater sein. Und er wird unter seiner Tat leiden, wenn er erkennt, wie kostbar das Leben eines Kindes ist.
Also sage ich denen, die Vergeltung fordern: Selbst wenn ich Rache an all den Israelis genommen hätte – würde mir das meine Töchter zurückbringen? Hass ist eine Krankheit, die Heilung und Frieden verhindert.
Von Shlomi Eldar erfuhr ich später, dass die wenigen gemeinsamen Minuten unseres live übertragenen Telefonats bei den Zuschauern einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hätten. Er sagte:
»Die Sendung hatte einen enormen Effekt auf die Israelis, die bis dahin nichts von Gaza hatten hören wollen, weil sie so wütend über die acht Jahre Raketenbeschuss durch die Hamas waren. Die Mehrheit der Israelis befürwortete den Einmarsch. Jetzt verstanden sie zum ersten Mal, was innerhalb Gazas geschah. Es waren Izzeldins Stimme und mein Gesicht, die die Geschichte ausgemacht haben. Ich war kurz davor zu weinen, als ich Zeuge seines Unglücks wurde. Dasselbe Leid empfanden die Zuschauer, die die Sendung verfolgten. Selbst der Premierminister von Israel sagte mir, er habe geweint, als er das im Fernsehen sah. Es war nicht die Hauptsendezeit, aber noch Monate später sagten mir Menschen, sie hätten diese Sendung im Fernsehen gesehen. Ich glaube, diese fünf oder sieben Minuten haben zum Waffenstillstand geführt.
Was mich faszinierte, war, wie Izzeldin zwischen seiner Rolle als Vater und der als Arzt wechselte – im einen Moment über die Tragödie klagend, im nächsten darauf bestehend, dass seine Tochter, seine Nichte und sein Bruder ins Sheba-Krankenhaus gebracht würden, weil dort für sie bessere Behandlungsmöglichkeiten bestanden.«
Sosehr ich mich um Ruhe und eine klare Sicht auf die Dinge bemühte, kehrten meine Gedanken doch immer zu den Mädchen – meinen wunderschönen, unschuldigen Töchtern – zurück. Ich saß
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