Du sollst nicht hassen
gingen ins Schlafzimmer, um zu lesen, Aufgaben zu machen und sich die Zeit zu vertreiben, bis wir uns wieder auf den auf dem Esszimmerboden ausgebreiteten Matratzen zusammendrängen würden. Das Schlafzimmer meiner älteren Mädchen war groß – ungefähr vier mal fünf Meter. Es hatte einen Balkon und eine Fensterfront über die ganze Breite. Der Großteil der Einrichtung stammte von meinen Reisen in andere Länder. Dinge wie leuchtend blaue, rote und beige Decken aus Ägypten und Pakistan, an der Zimmerdecke Sterne, die den ganzen Tag das Licht einfingen und nachts im Dunkeln leuchteten. Es gab Spiegel an den Wänden und Schmuck, der zusammen mit Mayars Lipgloss – ihrem neuesten Lieblingsspielzeug – auf den Kommoden herumlag. Dalals Zeichentisch, auf dem sie die Bauzeichnungen für ihr Studium anfertigte, stand in einer Ecke des Raums, und auf einem anderen Schreibtisch stand ein Computer. Als ich sie so vom Esszimmer aus beobachtete, kam es mir vor, dass trotz der Bombardierung und des Verlustes ihrer Mutter ein wenig Glück und Zufriedenheit in diesem Haus herrschten, ein Sinn von Zusammengehörigkeit, der meine Seele bewegte.
Raffah durchstöberte die Küche nach einem Stück Brot, um ein Sandwich zu machen, und Bessan half ihr dabei. Mohammed war an der Tür, die ins Treppenhaus führte und stocherte in der Holzkohle, um die Glut in Gang zu halten, und um zu versuchen, ein bisschen Wärme in unser kaltes, klammes Haus zu bringen. Ich war mit meiner Vorbereitung für das Interview fertig und spielte mit Abdullah, trug ihn auf meinen Schultern durchs Haus. Ich versuchte ihn abzulenken. Mit seinen sechs Jahren war die Situation für ihn nahezu unverständlich.
Wir hatten das Zimmer der Mädchen verlassen und waren im Esszimmer, als es passierte. Es war eine gigantische Explo sion, die überall um uns herum zu sein schien, ein Donnern, ein Krachen, das meinen Körper durchdrang. Ich erinnere mich an das Geräusch und den gleißenden Blitz. Dann war alles pechschwarz, Staub überall, ich bekam keine Luft. Abdullah saß immer noch auf meinen Schultern. Raffah kam schreiend aus der Küche gerannt, Mohammed stand erstarrt am Eingang. Als der Staub sich legte, wurde mir klar, dass die Explosion aus dem Zimmer der Mädchen gekommen war. Ich setzte Abdullah ab, und Bessan rannte mir von der Küche aus voraus. Wir kamen gleichzeitig an der Schlafzimmertür an. Ich hoffe, dass nie jemand sehen muss, was ich in diesem Moment sah.
Zersplitterte Möbel, Puppen, Bücher, Schuhe und Holzteile lagen zusammen mit Körperteilen auf einem Haufen. Shatha war die Einzige, die stand. Ihr Auge hing auf der Wange, ihr Körper war voller blutiger Wunden, ihr Finger hing an einem einzigen Stück Haut. Mayars Leiche lag auf dem Boden. Sie war enthauptet. Hirnmasse klebte an der Decke, auf dem Boden kleine Mädchenhände und -füße, als hätte sie jemand fallen lassen. Überall war Blut; Arme und Beine in Pullis und Hosen lehnten in absurden Winkeln dort, wo sie von den Rümpfen meiner geliebten Töchter und meiner Nichte gerissen worden waren. Ich rannte zur Eingangstür, aber mir wurde klar, dass ich nicht hinauskonnte, weil auf der Straße die Soldaten waren. Eine zweite Rakete krachte ins Zimmer, als ich an der Tür war.
Bis zum heutigen Tag bin ich nicht absolut sicher, wer wann starb. Mein Bruder Nasser war die Treppe heruntergerannt, als die Granate eingeschlagen war, und hatte die Tür zur selben Zeit wie mein Bruder Atta und seine Tochter Ghaida erreicht. Sie wurden von der zweiten Explosion getötet. Ich konnte Bessan nicht finden und rief unentwegt ihren Namen: »Bessan, Bessan, wo bist du, sag mir, wo du bist, damit ich dir helfen kann.« Aber auch sie war nun tot, genau wie Mayar, Aya und Noor.
Die Wohnung war voller Toter und Verletzter. Shatha stand vor mir und blutete stark. Ich war sicher, das Ghaida auch getötet worden war, weil sie von Wunden übersät noch immer auf dem Boden lag. Nasser war von einem Schrapnell in den Rücken getroffen worden und lag am Boden. Ich überlegte, wer uns helfen könnte, aus dieser Katastrophe herauszukommen. Dann fiel mir ein, dass ich immer noch eine Verbindung zur Außenwelt hatte. Ich rief Shlomi Eldar an, aber der Anruf ging nur auf seine Mailbox. Ich hinterließ eine Nachricht: »YaRabbi, YaRabbi – mein Gott, mein Gott – sie haben mein Haus bombardiert. Sie haben meine Töchter getötet. Was haben wir getan?« Alles, was ich denken konnte, war: Das ist das Ende. Das
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