Du sollst nicht hassen
im Krankenhaus, stellte mir ihre mögliche Zukunft, ihre Hochzeiten, das, was sie in diesem Leben der Welt noch hätten geben können, vor. Und ich dachte darüber nach, wie der Traum von Glück sich in Sekundenschnelle in einen Albtraum verwandeln kann. Ein Mensch, den du jahrelang genährt hast, wird dir in einem Blitz der Zerstörung für immer genommen.
Ich wünschte mir sehnlichst, ich könnte die Zeit noch einmal zurückdrehen: dass sie nicht im Schlafzimmer gewesen wären, dass die Waffenruhe, von der man sprach, schon Wirklichkeit gewesen wäre. Aber ich versuchte auch, mich auf die Überlebenden zu konzentrieren und darauf, wie ich ihnen helfen könnte, wieder gesund zu werden. Ich suchte Trost in meinem Glauben: Gott hatte mir meine Töchter anvertraut, und nun hatte er sie wieder zu sich genommen. Aber der Wahnsinn des Ganzen ließ mich nicht ruhig werden; die blinde Verbohrtheit der Behauptung, man hatte alle Bewohner Gazas angreifen müssen, um das Raketenfeuer auf Israel zu stoppen.
Ende Januar fing die Schule wieder an, und so schickte ich die Kinder, nachdem sie zehn Tage bei mir geblieben waren, wieder nach Gaza zu meinen Geschwistern zurück. Raffah wurde von Albträumen verfolgt und nässte sogar ein, und Mohammed war so tief verstört, dass er nach dem Tod seiner Schwestern monatelang unter Krampfanfällen litt. Abdullah, das Nesthäkchen, das schon mit einem Jahr aus den Windeln raus war, fing wieder an, ins Bett zu machen. Er war darüber so bestürzt, dass er darauf bestand, das habe jemand anderes getan, er könne es nicht gewesen sein. Während der langen Tage, in denen meine Tochter, meine Nichte und mein Bruder genasen, waren die Fragen, die mich beherrschten: Warum ist uns das passiert? Und wie werde ich damit umgehen?
SIEBEN
Auswirkungen
Die Auswirkungen des Bombardements auf unser Haus waren vielfältig. Ich kann die einzelnen Fäden kaum entwirren – der quälende Schmerz des Verlustes, die Flut an E-Mails und handgeschriebenen Briefen von Menschen aus der ganzen Welt, die unserer Familie eine Hand reichen und unsere Sorgen teilen wollten. Die außerordentliche Unterstützung meiner Kollegen, der Waffenstillstand, der zwei Tage zu spät – am 18. Januar 2009 – kam, die fragenden Gesichter meiner überlebenden Kinder. Wie kann ich all dem einen Sinn geben?
Am 1. April verließ ich das kleine Apartment, in dem ich im Sheba-Krankenhaus untergebracht war, und brachte Shatha nach Hause. Wir wurden auf der palästinensischen Seite von Eres von Verwandten und Freunden mit Blumen und der palästinensischen Flagge begrüßt. Busladungen von Studenten, Nachbarn, Professoren und Ärzten waren gekommen, sogar der Präsident. Die Medien filmten unsere Rückkehr – Umarmungen, Küsse, Reden, und überall um uns herum Zerstörung.
Nasser war von seinen Verletzungen genesen und kehrte drei Wochen nach der Tragödie nach Hause zurück. Ghaida blieb weitere zwei Wochen im Krankenhaus in Israel.
Bauarbeiter hatten begonnen, das zerstörte Schlafzimmer, in dem meine Töchter gestorben waren, zu reparieren. Baumaterial war schwer zu bekommen, und der Preis hatte sich vervierfacht. Trotz des unablässigen Gehämmers, Sägens, Kratzens und Wummerns der Werkzeuge schien mein Haus in einer tödlichen Ruhe zu verharren. Ich wollte in meinem eigenen Schlafzimmer schlafen, aber meine Kinder blieben bei meinen Brüdern Atta und Rezek und bei meinen Schwestern Etimad und Yousra. Sie versuchten so sehr, tapfer zu sein, aber ihr kaum verborgener Kummer war schwer zu ertragen. Eines Nachts fand ich ein Gedicht auf meinem Kopfkissen – eine Nachricht an Aya, geschrieben von Raffah. Die Übersetzung lautet:
Nein Nein Nein – wohin bist du aus unserem Zuhause verschwunden
Aya, du warst das Licht unseres Heims
Was geschah mit dem Haus, das von dir erleuchtet wurde
Wohin ist das wunderschöne Licht gegangen
Wohin ist das schöne Mädchen gegangen
Nein Nein Nein
Wohin bist du verschwunden, Aya
Was sagt man einem Kind, das solche Worte schreibt? Und Mohammed wiederholte unentwegt, wie ein Gebet: »Die Mädchen sind bei unserer Mutter. Sie sind dort glücklich. Meine Mama wollte, dass sie kommen.«
Was wäre gewesen, wenn ich im Krankenhaus in Tel Aviv gewesen wäre, als der Angriff begann? Ich wäre von den Kindern getrennt gewesen, nicht in der Lage, mich um sie zu kümmern, hätte die furchtbare Nachricht aus der Ferne erhalten. Ich hatte mir immer Gedanken gemacht, es könnte meiner Familie
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