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Du sollst nicht hassen

Titel: Du sollst nicht hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Izzeldin Abuelaish
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etwas Katastrophales zustoßen, während ich nicht da war. Als Junge hatte ich Angst, meiner Mutter könne etwas passieren, und nachdem wir geheiratet hatten, machte ich mir Sorgen um Nadia, besonders, wenn meine Fortbildungen und meine Arbeit mich außerhalb des Landes festhielten. Mir wurde bewusst, wie dankbar ich war, dass weder meine Mutter noch Nadia diese Katastrophe miterlebt hatten.
    Die persönlichen Nachbeben unseres Verlustes rissen nicht ab. Ghaida war so schwer verwundet worden, dass wir eine Zeit lang nicht riskieren konnten, ihr zu sagen, dass Bessan, Mayar, Aya und Noor tot waren. Wenn sie nach den Mädchen fragte, sagten wir ihr, dass sie ebenfalls verwundet worden seien und besonders betreut wurden. Eine Weile beruhigten die Ausflüchte sie, auch wenn sie so etwas sagte wie: »Sagt mir nicht, sie sind gestorben.« Sie fragte natürlich weiterhin, und schließlich wussten wir – ihr Vater, Shatha und ich –, dass es für sie an der Zeit war, es zu erfahren. Shatha übernahm die schwere Aufgabe. Sie hielt die Hände ihrer Cousine und erklärte ihr, dass alle vier Mädchen bei dem Angriff ums Leben gekommen waren. Ghaida fing an zu schreien und rief, dass sie nie wieder nach Hause zurückkehren wolle, wenn ihre Cousinen nicht da wären, dass sie nie wieder in unsere Wohnung kommen würde. Wir machten uns große Sorgen, dass wir einen Fehler gemacht haben könnten – sie war immer noch in einem heiklen Zustand. Aber Shatha blieb bei ihr, und schließlich konnten sie einander trösten, diese überlebenden Teenager, die mit Schrapnells und Verletzungen, Schmerz und Verlust fertig werden mussten.
    Von dem Augenblick an, als wir nach Hause kamen – zerstörte Häuser, zusammengebrochene Brücken und Schutt überall um uns herum –, war mir klar, dass ich nur zwei Möglichkeiten hatte: den Pfad der Dunkelheit oder den Pfad des Lichtes. Wenn ich den Pfad der Dunkelheit wählte, den giftigen Hass und die Rache, hieße das, wie bei einer Krankheit unter Komplikationen zu leiden und in Depressionen zu verfallen. Um den Pfad des Lichtes zu wählen, musste ich mich auf die Zukunft und meine Kinder konzentrieren.
    Aber zunächst mussten wir einigen Tatsachen ins Auge blicken. Der Gazastreifen war ruiniert – zu Bruchstücken zerbombt. Es waren nicht nur die Regierungsgebäude und Polizeistationen, bei denen die israelischen Streitkräfte darauf beharrt hatten, es seien feindliche Ziele, sondern ganze Wohnblöcke, die nicht das Geringste mit politischen Parteien oder Militanten zu tun hatten. Vom Fenster meines Hauses bot sich, so weit ich sehen konnte, der niederschmetternde Anblick ihrer Strategie der verbrannten Erde. Allein in Jabaliya-Stadt gab es etwa 500000 Tonnen Trümmer. Es sah aus wie eine Mischung aus Sarajevo unter der Belagerung und Afghanistan, nachdem die Mudschaheddin dort fertig waren. Die schwarzen Mauern, die einmal Häuser gewesen waren, die klaffenden Löcher, wo einst Fenster waren, ließen die Gebäude, die noch standen, gespenstisch aussehen. Es war ein einziges Zeugnis des Hasses.
    Im Krieg geht es nicht nur darum, Häuser unbrauchbar zu machen, stattdessen schießt man wieder und wieder auf sie, bis sie zu Staub zermalmt und dem Erdboden gleichgemacht sind, um jede Spur menschlichen Lebens auszulöschen. Doch es gab Menschen, die dort lebten. Sie mussten zurückkehren, auch wenn nichts mehr übrig war als Pfeiler aus bröckelndem Beton und lose heraushängenden Kabeldrähten.
    Als ich all diese mutwillige Zerstörung sah, fragte ich mich, was um alles in der Welt diese Soldaten wohl antrieb? Wer traf die Entscheidungen, so etwas zu tun? Was dachten sie, als sie es taten? In Israel wird viel über die Kassam-Raketen gesprochen. Wer würde über das hier sprechen?
    In den Massenmedien wurde das, was in Gaza während dieser furchtbaren Wintertage passiert war, als Gaza-Krieg bezeichnet, die israelischen Streitkräfte führten es unter dem Namen Operation Gegossenes Blei, die arabische Welt nannte es das Gaza-Massaker und die Israelis den Krieg im Süden. Die Berichte über die Zahl der Todesopfer sind ungenau, aber auf allen Seiten ist man sich einig, dass zwischen 1166 und 1417 Palästinenser und dreizehn Israelis getötet wurden. Auch zu den Lebenden gibt es Statistiken: Mehr als 400000 Menschen in Gaza mussten fortan ohne fließendes Wasser auskommen, viertausend Wohnhäuser wurden zerstört oder so schwer beschädigt, dass die Menschen nicht zurückkehren konnten,

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