Du sollst nicht hassen
müssen, dass irgendein Ereignis ihr Leben dramatisch verändert. Sie sehen, dass es möglich ist, Pläne für die Zukunft zu machen, und dass diese Pläne sich verwirklichen lassen. In Gaza studierten sie, um einen Abschluss und eine höhere Bildung zu haben, aber sie wussten, dass sie nie einen Job als Ingenieurin finden würden. In Kanada hingegen studieren sie Ingenieurwesen und wissen, dass sie eine sehr gute Chance haben, eine Arbeit zu finden und Karriere zu machen. Mit Staunen stellen sie fest, dass es selbst innerhalb eines Berufes so viele Möglichkeiten gibt. Anders als in Gaza haben sie hier nicht das Gefühl, unter jemandes Kontrolle zu sein. Sie können auf der Basis ihrer eigenen persönlichen Vorlieben frei ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Dalal und Shatha haben mich jüngstens zu einem Interview mit Radio Toronto und dem Fernsehsender CBC begleitet. Auf die Bitte hin, ihre schmerzliche Geschichte zu erzählen, sprachen sie darüber, wie sehr sie ihre Mutter, ihre Schwestern und ihre Cousine vermissen, doch sie halten an der Botschaft fest, die sie aus dem Friedenscamp in Santa Fe mitgebracht haben. Ehe sie im Friedenscamp waren, sagte Shatha, hätten sie die Israelis als Feinde gesehen, aber Zeit miteinander zu verbringen und miteinander ins Gespräch zu kommen, hätte alle Stereotype rasch verschwinden lassen. Die Mädchen, die sie dort kennengelernt haben, waren nicht anders als sie, und gemeinsam wollten sie daran arbeiten, eine Lösung für die bestehenden Konflikte zu finden.
Mohammed, Raffah und Abdullah besuchen Schulen in der Nähe unseres Hauses. Sie fühlten sich von ihren Lehrern und Mitschülern so willkommen geheißen, dass Raffah auf die Idee kam, vor allen eine Rede zu halten. Sie bat die Direktorin der Schule, ihre Worte niederzuschreiben. Raffahs Rede begann so: »Gaza ist müde …« Dann stellte sie Fragen, wie diese Tragödie hatte passieren können. »… Warum hat Israel das seinem Freund angetan?« Ich sah, wie sehr sie verinnerlicht hatte, was ich meinen Kindern immer vorgelebt habe: dass die Israelis unsere Freunde sind und wir sie lieben sollten, wie wir einander lieben.
In einer Rede, die ich in der Synagoge Bet Tzedek in Toronto kurz nach meiner Ankunft gehalten habe, fragte mich jemand aus dem Publikum: »Was haben Sie persönlich Ihren Kindern über Juden und das jüdische Volk in Israel erzählt?« Die Antwort hat meine Tochter Raffah gegeben, die gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern zum ersten Mal bei einem Anlass anwesend war, bei dem ich sprach. Ich beantwortete die Frage, indem ich Raffah bat, zu mir aufs Podium zu kommen und dem Publikum zu sagen, was ich ihr während des Krieges und während des Leidens beigebracht habe. Sie sagte auf Hebräisch: »Ich liebe dich.«
Auch Mohammed fühlte sich ermutigt, öffentlich über seine Erfahrungen in Gaza zu sprechen. Er erzählte von seiner Schule in Gaza, darüber, wie ein typischer Tag aussah und was er am Wochenende machte, und er erzählte von der Tragödie unserer Familie. Die Kinder in seiner Schule waren überrascht, denn so etwas hatten sie noch nicht gehört. Er erhielt Briefe von seinen Klassenkameraden, die alle schrieben, wie sehr sie von seiner Geschichte berührt waren und wie sehr sie seine Tapferkeit bewunderten. Mohammed war beeindruckt von der Freundlichkeit seiner Klassenkameraden und von dem Verständnis, das sie ihm entgegenbrachten. Er wusste ihre Bereitschaft, ihm zuzuhören und zu verstehen, zu schätzen und hatte das Gefühl, dass sie sich um ihn kümmern würden. Er sagt mir oft, wie glücklich er sei, in einer Stadt zu leben, wo er sich frei fühlen könne, er selbst zu sein und von den Menschen um sich herum akzeptiert zu werden. Am liebsten würde er auch die Wochenenden in seiner Schule verbringen.
Am Anfang des Schuljahres, als Mohammed noch neu in seiner Schule war, plante seine Klasse einen Ausflug in die Hauptstadt Ottawa. Weil er noch neu und unsicher war, wollte er nicht mitfahren. Aber seine Klassenkameraden sagten ihm, die achte Klasse sei nicht vollständig, wenn sie den Ausflug ohne ihn machen müssten. Noch heute spricht er über den unvergesslichen Ausflug und ist glücklich, dass seine Mitschüler darauf bestanden, dass er als Teil der »Schulfamilie« dabei sein sollte. Der Schulalltag hier in Kanada ist wirklich ganz anders, und meine Kinder schätzen die Möglichkeiten, die sie hier haben.
Abdullah findet viele Freunde und sein Englisch wird von Tag zu Tag
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