Du sollst nicht hassen
befähigt, eine Veränderung der gesamten Gesellschaft herbeizuführen.
Eine der Auswirkungen unserer Tragödie ist, dass ich noch mehr Möglichkeiten bekam, ausgedehnte Reisen nach Europa, Nord-Amerika und Asien zu unternehmen, um über die Koexistenz und die Wirklichkeit Gazas zu sprechen. Jeder dieser Besuche gibt mir die Chance, die Fakten korrekt darzustellen, Missverständnisse aufzuklären und Unterstützer für die Koexistenz und die Menschenrechte im Nahen Osten – und überall – zu gewinnen. Ich spreche über das Leben der Frauen und über die geplante Arbeit meiner Stiftung.
Im April 2009 wurde ich nach Brüssel eingeladen, um Mitglieder des Europäischen Parlamentes zu treffen. Während ich dort war, wurde mir die belgische Ehrenbürgerschaft verliehen, und ich erhielt die Gelegenheit, den damaligen Präsidenten des EU-Parlamentes, Hans-Gert Pöttering aus Deutschland, kennenzulernen. Ich erfuhr auch, dass mich Jean-Marc Delizée, der Staatssekretär des belgischen Parlamentes, für den Friedensnobelpreis 2010 vorgeschlagen hatte. Ich war überwältigt. Die Nominierung führte mir noch einmal die weltweite Reaktion auf die Tragödie meiner Familie vor Augen. Ich weiß, dass ich meine Mädchen niemals zurückbekommen werde, und trotzdem kommt es mir so vor, als ob nichts in dieser Welt unmöglich wäre.
Bald darauf erfuhr ich, dass mir der Niarchos Prize for Survivorship, ein amerikanischer Preis für Überlebende, verliehen werden sollte. Der Preis wird vom Survivor Corps verliehen, einer Organisation, die sich dafür einsetzt, den Kreislauf aus Diskriminierung und Gewalt zu durchbrechen. Ich fühlte mich außerordentlich geehrt, einen Preis zu bekommen, der so sehr die Realität des Lebens der Palästinenser widerspiegelt. Nomika Zion aus Sderot erhielt diese Auszeichnung ebenfalls und sprach sich in ihrer Dankesrede gegen die Gefahr aus, dass Menschen den Krieg glorifizieren: »Ich habe Angst, dass wir unsere menschliche Fähigkeit verlieren, die andere Seite zu sehen, zu fühlen, entsetzt zu sein und Mitgefühl zu zeigen. Es ist unsere Pflicht, unsere Regierenden dazu zu bringen, miteinander zu reden, sie dazu zu zwingen, uns zur Abwechslung mal eine andere Geschichte zu erzählen. Vielleicht wird eines Tages unsere Stimme gehört.«
Ich folgte gespannt ihrer Rede, und als ich meine eigene hielt, kam es mir vor, als hielte ich sie für meine ganze Familie, ja, für alle Palästinenser:
»Ich würde mir wünschen, dass meine Eltern für einen Moment aus ihren Gräbern auferstehen könnten, dass meine Frau und meine Töchter, das ganze palästinensische Volk, vor allem die Gazabewohner, bei mir sein könnten, um mit mir diesen glücklichen Moment zu teilen. Sie sollen wissen, dass sie nicht allein sind, dass jemand in der Welt an sie denkt. Ich versichere Ihnen, dass die Tragödie mich gestärkt hat und dass ich entschlossener bin als je zuvor, in meinen Bemühungen im Namen der Menschlichkeit fortzufahren. Aber ich will Ihnen auch sagen, dass dies nicht genügt. Wir müssen handeln. Denn wir alle wissen, dass das Böse allein dadurch überleben kann, dass gute Menschen wie Sie nichts tun. Es ist an der Zeit zu handeln. Wir müssen nach vorn schauen. Die Würde der Palästinenser hat denselben Wert wie die Würde der Israelis, und es ist an der Zeit, partnerschaftlich zu leben und zusammenzuarbeiten. Es gibt keinen Weg zurück.«
An dem Tag, als Granatfeuer das Leben meiner Töchter beendete, hatten wir als Familie entschieden, dass ich die Stelle in Toronto annehmen würde, die Dr. Peter Singer und Dr. Abdallah Daar mir angeboten hatten, und dass ich an der Dalla Lana School of Public Health der Universität Toronto arbeiten würde.
Als wir unsere Vorbereitungen trafen, um Gaza am 21. Juli 2009 zu verlassen, rangen Israel und die Hamas um einen Waffenstillstand, und Ägypten war auch dieses Mal bereit zu vermitteln. Die Hamas erklärte ihre Bereitschaft, den Raketenbeschuss Israels aus Gaza einzustellen, und Israel würde etappenweise wieder Warenlieferungen nach Gaza zulassen. Doch die Raketenbeschüsse hörten nicht ganz auf, und die Lieferungen blieben hinter den Erwartungen zurück.
An diesen Sommerabenden kamen meine Freunde und Verwandten jeden Abend auf der Straße zusammen, um der erdrückenden Hitze in ihren Häusern zu entkommen. Wir saßen vor meinem Haus auf weißen Gartenstühlen aus Plastik und tauschten die Neuigkeiten des Tages aus. Ich traf mich auch weiterhin mit
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