Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
zurückzuschauen.
Im Laufschritt folgte sie dem Traktor. Sie schmeckte Blut. Vielleicht hatte sie sich bei dem Sturz vom Tor verletzt. Unter den Sohlen spürte sie die spitzen Kiesel. Sie musste sich so darauf konzentrieren, auf den Beinen zu bleiben, dass alle Schmerzen in den Hintergrund rückten. Eine schrecklichere Art zu sterben, als über einen Kiesweg geschleift zu werden, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie konnte überhaupt an nichts anderes denken als daran, dass sie mit dem Traktor Schritt halten musste, wollte sie ihr Leben retten.
Auf dem letzten Stück zum Haus stieg der Weg an, aber Adam drosselte das Tempo nicht.
Er fuhr bis vor einen der Anbauten auf der Rückseite des Hauses, dahin, wo auch Gregs Auto stand. Der Sommerwind hatte die ersten frühreifen Blätter hergeweht. Sie hatten sich auf der Motorhaube niedergelassen. Adam machte den Motor aus, und sie sackte auf den Boden. Sie war so entkräftet, ihr verschwamm alles vor Augen, und während es in ihrem Kopf hämmerte, hörte sie Adam aus dem Fahrerhaus springen und unter Fluchen gegen die Räder mit dem riesigen Profil treten.
»Das ist kein Spiel, Nicky! Du denkst, ich spiele Spielchen! Was glaubst du eigentlich? Du bleibst hier. Du gehst nicht da raus!«
Sie war noch damit beschäftigt, zu Atem zu kommen. Dumpf wanderte ihr Blick durch den Hof. Sie war zu müde, um Angst zu haben. Und sie antwortete nicht – weil sie nicht konnte, aber auch, weil sie nichts zu sagen hatte.
Er band sie los, und da sie nicht in der Lage war, selbst zu gehen, ließ sie sich von ihm ins Haus tragen. An ihren Oberarmen brannten rote Striemen, im Fuß, den sie so ignorant belastet hatte, hämmerte der Schmerz. Adam stieg über den toten Mann, der immer noch in der Diele auf dem Boden lag, bettete sie auf das Sofa im Salon und verschwand. Sie hörte ihn in der Küche hantieren. Als das rein physiologische Herzklopfen nachließ, setzte die Angst ein, jetzt erst hatte sie Raum. Die Grautöne in dem, was zwischen ihnen war, hatten sich in ein hartes Schwarz-Weiß verwandelt, in absolute Klarheit. Sie konnte sich nicht länger an die Hoffnung klammern, dass ihre Missgeschicke eine Abfolge unglücklicher Zufälle gewesen waren – dass der Autoreifen nicht absichtlich aufgeschlitzt, die Treppe zum Weinkeller nicht präpariert worden war. Hoffnung war Selbstbetrug. Sie war nicht im Landhaus eines schönen, aufmerksamen, sorglosen jungen Mannes, der ihr einen spannenden und schmeichelhaften Einblick in die reichen Möglichkeiten des Lebens offerierte – sie steckte mitten in einem Überlebenskampf, und sie hatte es mit einem Mann zu tun, den sie kaum kannte. Einem Mann, für den es keine Grenze gab.
Als Adam wiederauftauchte und sie sah, was er mitbrachte, fand sie plötzlich die Kraft zu schreien. Es war ein animalischer Laut, der aus ihrem tiefsten Innern kam.
Adam hatte Handschellen geholt.
Der Raum war groß, es dauerte ewig, bis er ihn durchquert hatte. Sie rutschte vom Sofa, aber kämpfen konnte sie nicht mehr. Sie verging vor Angst. Während Adam sie hochhievte und gegen den Heizkörper an der rückwärtigen Wand lehnte, klagte und protestierte sie unentwegt. Schnodder und Tränen mischten sich in ihrem Gesicht. Sie trat mit dem gesunden Fuß nach ihm, doch das hinderte ihn nicht daran, ihre Hand an das Heizungsrohr zu ketten.
»Ich muss graben, und nach dem, was du gemacht hast, bleibt mir nichts anderes übrig, als dich festzubinden.« Er streifte ihr die Sandalen von den Füßen und warf sie ans andere Ende des Raumes. »Hier wird nicht mehr weggelaufen.«
Er benahm sich, als sei das alles völlig normal. Als sei ein toter Mann in der Diele so etwas wie ein Paket, das der Postbote vorbeigebracht hatte, als könne man eine Frau ebenso gut an die Heizung ketten, wie man ihr einen Drink servierte. Den Rücken an die Wand gelehnt, ließ sie sich auf den Boden gleiten. Dort blieb sie hocken und weinte und flehte.
»Lass mich frei, Adam! Ich bitte dich, tu mir das nicht an!«
Er stand einfach vor ihr, er rührte sich nicht. »Nicht betteln, Nicky, das passt nicht zu dir. Wenn du bettelst, bist du nicht ehrlich. Das gefällt mir ja gerade an dir: Du bist stark, du wirst mit Sachen fertig. Ich gebe zu, das hier ist etwas ungewöhnlich …«
»Du bist verrückt …«
»Auch wenn du das nicht verstehst, ich tue dir einen Gefallen.«
Ihr fehlten die Worte, deshalb schrie sie einfach vor Zorn. Die Hilflosigkeit machte sie rasend, aber auch das
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