Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
doch nur nach etwas, das verlorengegangen ist. Was ist denn verlorengegangen, Adam?«
»Es kommt nicht darauf an, was verlorengegangen ist, es kommt darauf an, was man findet.« Im matter werdenden Sonnenlicht wirkte seine Haut fahl. »Was ist so Besonderes an dir, Nicky? Warum geht’s immer nur um dich?« Seine Miene war finster, sein Blick kalt und durchdringend.
Sie antwortete nicht gleich, weil sie das für das Sicherste hielt. Vorerst holte sie nur tief Luft und atmete sehr langsam wieder aus. Reiß dich zusammen, bleib ruhig, ermahnte sie sich.
»An mir ist nichts Besonderes …«
Plötzlich stand er, und sie zuckte zurück.
»Ich hab deinetwegen gekämpft! Am Ende hab ich diesen Kerl für dich umgebracht! Deinetwegen hab ich einen Riesenhaufen Scheiße am Hals!«
O Gott, dachte Nicky. »Du kennst ihn, stimmt’s?«
»Nein, ich nicht, aber jemand anders!«
»Du hast mit ihm gesprochen.«
»Das hab ich, ja! Denkst du, er war zufällig hier? Bullshit! Was hat er gesucht? Er hat versucht, es zu nehmen!«
»Was?«
Jetzt war er richtig in Rage. Er ballte die Fäuste, die Adern an seinem Hals schwollen an.
»Ist das dein Ernst? Ich meine, ist das wirklich dein beschissener Ernst?« Wie in Trance ging er in der Küche auf und ab. »So verrückt ist Connie gar nicht – vielleicht sieht sie von uns allen am klarsten. Nach allem, was ich weiß, verdient es vielleicht am ehesten Scheißgreg, zur Hölle zu fahren!«
Er griff nach dem Stuhl, auf dem er vorher gesessen hatte, und schleuderte ihn mit voller Wucht durch den Raum. Als er auf den Boden krachte, brachen die Hinterbeine ab und schlitterten in die Ecke.
Nicky saß ganz still. Wechsel das Thema, wechsel das Thema, ratterte ihre innere Stimme unaufhörlich. Wenn sie es schaffte, heil aus diesem Raum herauszukommen, war das schon ein Sieg.
»Wollen wir die Kerzen anzünden? Es wird dunkel, und ich fürchte mich im Dunkeln.«
Mit diesem einfachen Ansinnen holte sie ihn zurück. Er lehnte sich an die Spüle und ließ den Kopf hängen.
»Wir brauchen noch ein paar neue.«
Dann wühlte er in einem Schrank und fand tatsächlich eine Tüte mit Kerzen. Er trug Nicky in den Salon, zündete die Kerzen an und stellte sie auf Teller. Die Streichhölzer gab er nicht aus der Hand. Sie saßen jeder auf einem Sofa, beobachteten den sich lange hinziehenden Sonnenuntergang und lauschten stumm dem Dröhnen der Flugzeuge.
Nach einer Weile stand er auf. »Zeit, schlafen zu gehen.«
Sie erschrak.
»Ich werde dich wieder anbinden müssen.«
»Bitte, Adam …«
»Du kannst hier nicht weg. Ich tu das nicht gern, aber …« Er berührte die Wunde an seinem Kopf. »… ich traue dir nicht.«
»Wenn du es nicht gern tust, dann lass es. Ich weiß, dass du im Moment nicht du selbst bist. Wir können damit Schluss machen, wenn …«
»Hör auf.«
Das tat sie.
Widerstrebend trat sie den mühsamen Weg in ihre nächtliche Haft an. Adam, der die Kerzen trug, ging hinter ihr her die Treppe hinauf. Schatten tanzten über die Bilder, die seine Mutter gemalt hatte, auf dem Dielenfußboden zeichnete sich als verschwommener Umriss der Leichnam ab.
Vor dem Schlafzimmer blieb sie stehen. Der Gedanke an eine weitere lange schwarze Nacht war niederschmetternd. Sie war nicht sicher, ob sie die Kraft hatte, das durchzustehen.
»Bitte nicht, Adam!«
»Ich habe keine Wahl.«
Er führte sie ins Schlafzimmer und holte die Handschellen aus der Tasche. Sie begann zu wimmern und flehte ihn an, es nicht zu tun. Als er auf sie zukam, setzte sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
»Eins musst du mir noch sagen«, drängte sie. »Was hast du vorhin gemeint, als du von Greg gesprochen hast? Du hast gesagt, er müsste zur Hölle fahren.«
Er antwortete nicht. Er kettete sie einfach an den Bettpfosten und ging.
Ihre Nacht unterlag dem Rhythmus des metallischen Klapperns, mit dem die Handschellen gegen den Bettpfosten schlugen und das ihr immer wieder klarmachte, in welch aussichtsloser Lage sie sich befand. Sie schlief wenig. Das Haus war ein stilles, unheimliches Gefängnis.
Als die Dämmerung anbrach und der Raum um sie Konturen annahm, fiel ihr eine Fernsehreportage ein, die sie vor einiger Zeit gesehen hatte. Es war um einen einsamen Wanderer gegangen, der in der kanadischen Wildnis von einem Grizzlybären verfolgt wurde. Schnell genug weglaufen konnte er nicht. Er konnte weder auf einen Baum klettern noch einen Fluss überqueren, um sich in Sicherheit zu
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