Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
denn zu einem Einbrecher, den man mitten in der Nacht in der Diele seines Hauses antraf? All das dachte sie, aber sie sprach es nicht aus.
Eine Weile später gingen sie einmal durch alle Erdgeschossräume, um festzustellen, wo der Mann eingestiegen war. Adam wich nicht von ihrer Seite, und die Spannung zwischen ihnen wuchs. In der Toilette entdeckten sie schließlich ein aufgestemmtes Fenster.
»Weißt du, was er wollte?«
»Einbrechen.«
Nicky sagte nichts mehr. Adam hatte sich halbwegs beruhigt. Er war jetzt in der Lage, ein bestimmtes Bild zu zeichnen, an einer Version der Geschichte festhalten. Aber kurz nachdem er den Mann erschlagen hatte, war sein Ton ein ganz anderer gewesen. Sie war sich nicht sicher, ob dieser Mann tatsächlich ein Einbrecher war – war er aber keiner, was hatte er dann in dem Haus gewollt? Sie versuchte es noch einmal.
»Warum soll denn niemand wissen, dass er hier war?«
Adam antwortete nicht, er schien völlig in düstere Gedanken versunken.
»Hat das was mit dem zu tun, was du da draußen suchst?«
»Das kann ich dir noch nicht sagen.«
Es war nur ein Strohhalm, aber sie griff danach. »Das verstehe ich nicht. Hilf mir doch, es zu verstehen!«
»Ich brauche dich. Du musst mir suchen helfen.«
»Was?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber wenn wir es finden, vergraben wir die Leiche unter dem Rasen.«
Bitterkeit stieg in Nicky hoch, doch sie kämpfte dagegen an. Was für einen schrägen Plan auch immer er ausgeheckt hatte, er brauchte sie für die Umsetzung, so viel war klar. Aber sobald das vorbei war … Sie blickte hinaus auf das knochentrockene Gras, auf die feuchtere, dunklere Erde, die frisch umgegraben war und immer noch aussah wie eine riesige Narbe im Grün ringsum. Mit dem neuen Tag würde sie trocknen, sich blassgrau färben und nicht mehr zu unterscheiden sein von der übrigen Erde.
Nicky spürte ihren Körper, seine Wärme, den Herzschlag mit seinem immergleichen Rhythmus. Und ihr war deutlich bewusst, dass sie, wenn sie nicht großes Glück hatte, unter diesem Rasen landen würde, dass ihr Körper hier verrotten würde, bis er von der Erde, in der er lag, nicht mehr zu unterscheiden war. Der Schmerz im Fuß strahlte ins ganze Bein aus. Sie würden den Tag damit zubringen, diesen Flecken Erde umzugraben und Steine aus dem Boden zu holen, und dabei würde er sie nicht aus den Augen lassen. Ihre Chancen zu entkommen waren gleich null.
Sie würde ihr eigenes Grab schaufeln.
21
M it einem Fauchen fuhr der Spazierstock durch die Luft, bevor er Adam am Hinterkopf traf. Sie hatte mit solcher Wucht zugeschlagen, dass ihr der Stock aus der Hand sprang und Adam mit einem Schrei nach vorn taumelte. Als er auf die umgepflügte Erde fiel, rannte sie schon, als wären Himmel und Hölle hinter ihr her. Als Schulmädchen war sie Bezirksmeisterin im Sprint gewesen: Es hatte nicht viele gegeben, die sie über hundert und zweihundert Meter hatten schlagen können. Ihre langen Beine waren ihr Vorteil gewesen, die hatten sie fast immer als Erste über die Ziellinie getragen.
Seit mindestens zwanzig Jahren hatte sie keinen Sprint mehr hingelegt, aber jetzt startete sie mit voller Kraft durch. Ihr Atem ging stoßweise, und sie riss die Arme extra hoch, um auf dem unebenen Grund die Balance nicht zu verlieren. Ihr Fuß war praktisch taub vor Schmerz, aber sie hatte sich nun einmal zu dieser Flucht entschlossen, es gab kein Zurück. Fast drei Stunden lang hatte sie in der Spätvormittagssonne den Rasen umgegraben und auf den richtigen Moment gewartet. Jetzt rannte sie um ihr Leben.
Sie krümmte den Rücken, immer in Erwartung der Hand, die sie packte, oder des Beins, das ihr gestellt wurde und sie zu Fall brachte. Fünf Schritte, zehn, zwanzig, sechzig. Sie riskierte einen kurzen Blick zurück. Er lief zum Haus. Damit hatte sie nicht gerechnet. Angst vor dem Unkalkulierbaren kroch ihr den Rücken hinauf. Sie bemühte sich, in einen schnellen Laufschritt zu wechseln, um Energie zu sparen. Sie würde sie noch brauchen. Zugleich wollte sie Abstand zwischen ihn und sich bringen, so viel nur möglich war. In der Tasche ihres Kleides hüpfte der Autoschlüssel des Toten auf und ab.
Den kranken Fuß nachziehend, umrundete sie den See. Einmal, als ein Flugzeug über sie hinwegjagte, kam sie aus dem Tritt, doch sie fing sich schnell wieder. Sie erklomm die Steigung, hinter der die Auffahrt lag. Ihre Lungen protestierten heftig gegen die ungewohnte Anstrengung, und die
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