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Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)

Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)

Titel: Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ali Knight
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Oberschenkelmuskulatur brannte. In ungefähr zweihundert Meter Entfernung tauchte die graue Mauer auf, die das Grundstück umgab.
    Von weitem sah sie, dass Adam immer noch in Richtung Haus lief. Er trug Stiefel, das machte ihn langsamer, und vor ihm lag eine Steigung. Inzwischen keuchte sie. Ein Schritt fiel ihr schwerer als der andere. Als sie die kiesbestreute Auffahrt erreichte, war sie an die fünfhundert Meter gelaufen, ihr Herzschlag spielte verrückt, und sie bekam gemeines Seitenstechen.
    Die Auffahrt machte einen Bogen, so dass Nicky Adam aus dem Blickfeld verlor. Je näher sie herankam, desto deutlicher sah sie, wie hoch und glatt die Mauer war. Eine Stelle, an der man sie leicht überwinden konnte, gab es nicht. Für den Moment zählte ohnehin nur eins: Sie musste das Tor erreichen. Auf dem Kies waren ihre Schritte lauter. Jetzt ging es bergab, und sie erkannte schon die Biegung, hinter der das Tor auftauchen musste. Vierhundert Meter … dreihundertfünfzig … Sie würde sich im Wald verstecken. Sie wusste, dass sie an guten Tagen und mit etwas Vorsprung selbst einen Mann locker abhängen konnte, doch der verletzte Fuß war ein schweres Handicap – Adam dagegen war im besten Alter und durchtrainiert, und die Angst vor den Folgen, die es haben konnte, wenn ihr die Flucht gelang, trieb ihn noch zusätzlich an. Ihre einzige Chance war ein Katz-und-Maus-Spiel im Wald. Sie drehte sich um. Noch war sie allein. Und sie gestattete sich den ersten Anflug von etwas Gefährlichem: Hoffnung.
    Als vielleicht noch zweihundert Meter vor ihr lagen, hörte sie den Motor. Hätte sie schreien können vor Wut und Enttäuschung, sie hätte es getan. Er kam mit dem Traktor. Sie hörte, wie er hochschaltete, um zu beschleunigen.
    Mit gesenktem Kopf rannte sie auf das Tor zu. Jede einzelne Zelle ihres Körpers schmerzte. Er war langsam, aber er holte auf. Jetzt lagen noch etwa hundert Meter zwischen ihnen.
    Das Tor war riesig. Sie hämmerte mit beiden Fäusten dagegen, zerrte, heulte, zerrte wieder daran. Es war verschlossen. Er musste nachts hier draußen gewesen sein und es abgeschlossen haben. Fluchend begann sie zu klettern, schob ihre Sandalen zwischen metallene Rokoko-Verzierungen, hievte sich himmelwärts und spürte die ganze Zeit, wie das Tor unter ihrem Gewicht wackelte und schwankte. Fünfzig Meter war der Traktor jetzt noch entfernt. Adam beugte sich weit aus dem Seitenfenster. Er hielt etwas in der Hand und schrie etwas, das sie nicht verstand.
    Obwohl sie völlig erschöpft war, empfand sie eine Art Euphorie. Ein Bein hatte sie schon an allen Spitzen und Dornen vorbei über das Tor geschwungen. Fast hatte sie es geschafft. Doch dann spürte sie etwas um Brust und Oberarme, etwas, das sich zusammenzog. Sie stieß einen überraschten Schrei aus. Etwas riss so heftig an ihren Schultern, dass sie beinahe vom Tor heruntergefallen wäre. Ein Seil. Er hatte sie mit einem Lasso eingefangen. Sie schlug wild um sich, doch der Boden unter ihr war so schwindelerregend weit weg, am Ende klammerte sie sich doch fest.
    »Komm da runter, Nicky«, rief Adam und zog an dem Seil. Er kam näher und wickelte das Seil Schritt um Schritt auf.
    Sie versuchte, einen Finger zwischen Seil und Oberarm zu schieben, doch er zerrte so heftig, dass sie, vergebens nach einem Halt für Hände oder Füße suchend, am Tor nach unten glitt. Er kam noch einen Schritt näher, riss sie mit einem letzten Ruck ganz vom Tor weg und fesselte ihr damit zugleich die Arme an den Leib.
    »Warum hast du das gemacht?« Er war wütend. So hatte sie ihn noch nie gesehen. »Du hättest umkommen können!«
    Das war noch nicht das Ende. Lieber Gott, nein. Er zwang sie, zum Haus zurückzurennen.
    Benommen sah sie zu, wie er das Seil am Pflug befestigte. Ihr Hirn arbeitete nicht richtig, nachdem Herz und Lunge ihm sämtlichen Sauerstoff entzogen hatten. Adam kletterte wieder ins Fahrerhaus, wendete den Traktor und fuhr los in Richtung Haus. Das Seil glitt über den Boden. Einen Augenblick schaute sie teilnahmslos zu, unfähig zu begreifen, was das hieß, dann wanderte ihr Blick zu der Stelle, an der das Seil befestigt war, und obwohl sie sich kaum noch rühren konnte, rappelte sie sich schwankend auf. In diesem Moment ging ihr auf, dass es Angst in ebenso vielen Abstufungen gab wie Liebe oder Schmerz. Mit den gefesselten Armen war es fast unmöglich, das Gleichgewicht zu bewahren. Wenn sie aber fiel, war sie praktisch tot, denn er machte sich nicht die Mühe, zu ihr

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