Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
Bildern, die dort hingen.
»Ich weiß, dass ich keine Ahnung von Kunst habe, aber die sind doch wirklich scheußlich, oder? Das alles hier macht einen Eindruck von …« Sie suchte nach dem richtigen Wort.
»Ungeliebt?«
»Ja, genau. Traurig und ungeliebt.«
»Häuser spiegeln ja die Stimmung ihrer Bewohner wider. Ist Adam das? Traurig und ungeliebt?«
»Mein Vater hat mich nie geliebt«, erwiderte Sondra. »Er hat sich aus dem Staub gemacht, als ich zwei war. Aber ich bin nicht traurig.« Sie grinste.
»Adam Thornton hat nie eine Mutter gehabt. Wusstest du, dass Männer, die früh in der Kindheit die Mutter verlieren, ein doppelt hohes Risiko tragen, seelisch krank, drogenabhängig oder gewalttätig zu werden?«
Sondra blähte geringschätzig die Nasenflügel. »Ach, die armen Kleinen! Meine Mutter macht im Supermarkt Doppelschichten und bügelt zu Hause noch für andere Leute. Der Kerl ist so was von privilegiert. Man hat immer die Wahl.«
Jenny ging in den Salon und schaute hinaus in den verwüsteten Garten, in dem der Pflug noch herumstand und die aufgewühlten Erdschollen wie graue Narben in der Landschaft lagen.
»Was hat er da
gemacht?
«, fragte sie ins Leere.
»Wenn du mich fragst, hat der eine Schraube locker«, antwortete Sondra. »Eine silberne Schraube, um genau zu sein.«
Jenny spürte ihre Hand auf dem Arm.
»Sieh mal.«
Ihr Blick folgte Sondras ausgestrecktem Finger. Da lagen auf einem Beistelltisch ein Paar Handschellen.
»Aber ist er deswegen schon ein Mörder oder ein Kidnapper?«, fragte sie.
Sondra kniff im grellen Sonnenlicht die Augen zusammen und überließ sich für einen Moment der Wärme.
»Na ja, er hat einen Mann getötet, aber ich bezweifle, dass er je eine Zelle von innen sehen wird.«
Jenny schaute sich in dem großen Raum um. »Ein Kampf auf Leben und Tod, um das hier zu verteidigen.« Und nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Der Fall wird eingestellt werden, bevor es überhaupt zur Verhandlung kommt, und da Nicky ihre Aussage zurückgezogen hat, wird es auch keine Anklage wegen Geiselnahme geben.« Sie schüttelte frustriert den Kopf. »Worauf ich hinauswill, ist: Wird uns das in ein paar Jahren einholen? Sind wir – und diese Ayers im Grunde auch – im Begriff, einen gefährlichen Psychopathen laufen zu lassen?«
»Wusstest du, dass es ihr Job ist, Nachrufe zu schreiben?«
»Wenn das schiefgeht, kannst du in der
Police Review
den Nachruf auf meine Karriere lesen, das sag ich dir.«
»Soll ich mal nachschauen, ob da draußen noch ein paar andere Leichen verbuddelt sind?«
Jenny schnalzte streng mit der Zunge. »Wir müssen mit Struan Clarke weitermachen«, sagte sie und schaute in Richtung See, wo ein Stück weiter die Mauer das Grundstück gegen den Flughafen abgrenzte. »Vielleicht kannte Struan jemanden vom Flughafen. Hat er mal in Heathrow gearbeitet? Ich wette, das ist einer der größten Arbeitgeber in Westlondon. Vielleicht hat er auf diesem Weg von dem Haus gehört, das hier unbewacht vor sich hin gammelt.«
»Trotzdem ist das seltsam. Warum bricht er ausgerechnet dann hier ein, wenn jemand da ist? Die meiste Zeit steht das Haus doch leer. Wenn du hier ankämst und würdest die geöffneten Fensterläden und das Auto vor der Tür sehen – würdest du dann nicht lieber verschwinden und ein andermal wiederkommen?«
Jenny runzelte die Stirn. Sie ging zurück in die Diele und rief einen Officer zu sich.
»Hatte Struan Clarke eine Tasche dabei? Etwas, womit er hätte wegtragen können, was er sich aus dem Haus holen wollte? Der Weg zu seinem Auto war ziemlich weit.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen gefunden.«
Jenny und Sondra sahen einander an und setzten ihren Rundgang fort. Als sie am Weinkeller vorbeikamen, blieben sie einen Augenblick stehen und sahen sich die zersplitterte Tür an. Sie war in der Mitte durchgebrochen. Dann ging Jenny nach oben. Sie wollte in Nickys Haut schlüpfen, wollte einfach einen Augenblick oben an der Treppe stehen und sich in die Situation hineinfühlen. Als sie kurz darauf an einem der Fenster im ersten Stock vorbeikam, sah sie Sondra draußen an den Erdfurchen entlanggehen und auf den Boden starren. Nur für den Fall.
30
G eht’s dir gut?«
Lawrence spürte Bridgets warme Hand auf dem Knie und bedeckte sie mit seiner. Sie fuhr, die dunklen Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt. Die Büsche am Straßenrand flogen vorbei, er nahm sie nur verschwommen wahr. Ihm kam der Gedanke,
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