Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
ihnen die Gerechtigkeit, die sie verdienten, nicht liefern konnte. Aber auch Erfolg war selten besser: Wenn er jemanden für Jahre ins Gefängnis schickte, sah er, wie das erschöpfte Gesicht in sich zusammenfiel. Was nun, fragte diese Miene stumm, und er hatte keine Antwort parat.
Bridget beschleunigte und fuhr auf eine Schnellstraße, die zur Autobahn führte. Lawrence schloss das Fenster, um den Wind draußen zu halten.
»Vielleicht ist es gut, dass er dich angerufen hat«, sagte sie. »Vielleicht ist das seine Art, sich dir wieder zu nähern. Neu anzufangen.«
Seit Adam die Universität verlassen und begonnen hatte, sich in diesem und jenem auszuprobieren, wohnten Lawrence und sein Sohn zusammen. Sie hatten Connies Krankheit und die Verschlechterung ihres Zustandes gemeinsam erlebt. Er versuchte, es positiv zu sehen. Adam hatte nichts unternommen, um einen Job oder eine passende Ausbildung zu finden (diese Zirkusschule zählte nun wirklich nicht), aber er hatte Stunde um Stunde mit Connie zugebracht, hatte mit ihr geredet, ihr Gesellschaft geleistet und ihr damit die vergangenen Monate etwas erleichtert. Er hatte ihr gegenüber große Geduld – ja, Liebe – an den Tag gelegt. Damit hatte er, Lawrence, nicht gerechnet. Sein Sohn und er waren einander vollkommen fremd. Sie verstanden einander nicht. Sie gingen höflich, beinahe zuvorkommend miteinander um und spielten Verwandten und Gästen große Harmonie vor, doch die traurige Wahrheit war, dass er seinen Sohn nicht im Ansatz kannte. Bridget hatte recht. Der Anruf hatte ihn geschockt. Und was er auf der Wache zu hören bekommen hatte, war noch schlimmer gewesen.
Was wollte Adam mit dieser Nicky Ayers? Als er die beiden in der Woche zuvor zusammen erlebt hatte, war nicht zu übersehen gewesen, wie anziehend sie einander fanden, sein Sohn und die ältere Frau. Und sie war ganz schamlos mit ihrem Ehering herumgelaufen. Nachdem sie gegangen waren, hatte Bridget eine Braue hochgezogen, bis sie wie ein liegendes Fragezeichen auf ihrer Stirn stand. Er mochte diese Geste. Sie hatten beide gemeint zu wissen, was da lief, und sie hatten sich beide getäuscht. Draußen, im Haus, war etwas dramatisch schiefgelaufen, er wusste nur nicht, was.
Er schaute auf die Lkws, die in der Gegenrichtung an ihnen vorbeibrausten. Was Bridget gesagt hatte, klang in ihm nach. Warum hatte Adam ihn angerufen? War das ein Hilferuf gewesen, oder hatte er seinen Vater in eine peinliche Situation bringen und ihm Unannehmlichkeiten bereiten wollen? Lawrence wusste es nicht, und genau das war, wie ihm jetzt aufging, die Antwort. Ich habe einen Fremden aufgezogen, dachte er.
31
A ls gegen sieben Uhr abends Sondra mit ihrer Handtasche, dem Autoschlüssel und ihren Schuhen auftauchte, die die Polizei aus dem Haus mitgenommen hatte, kehrte ein Hauch Normalität in Nickys Leben zurück. Sie begrüßte die Gegenstände wie alte Freunde.
S ondra schlenkerte ihre eigenen Autoschlüssel. »Wir brauchen Sie heute nicht mehr. Sie wollen sicher nach Hause.« Nicky nickte.
»Ich kann Sie bis zum Bahnhof mitnehmen, wenn Sie wollen. Ihr Fuß sieht noch ziemlich übel aus.«
Während sie die Hauptstraße entlangfuhren, beobachtete Sondra ihre Beifahrerin aus den Augenwinkeln. Sie war in Gedanken versunken – oder einfach völlig am Ende.
»Waren Sie auch im Haus?«, fragte sie irgendwann.
Sondra nickte.
»Haben Sie etwas Auffälliges entdeckt?«
An der nächsten roten Ampel drehte Sondra sich zu ihr um. »Nichts, was ich nicht früher schon mal gesehen hätte.«
»Gibt es zu Adam eine Polizeiakte?«
»Darüber darf ich nichts sagen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Sondra sah zu, wie Nicky trockene Erde unter ihren Nägeln hervorpulte. Sie suchte nach Hinweisen, stellte ihre eigene Untersuchung an.
»Was hat er unter dem Rasen gesucht?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Nicky.
»Sie kennen ihn eigentlich gar nicht, oder?«
Nicky antwortete nicht, und damit war ihr Gespräch beendet. Als Sondra vom Bahnhof wegfuhr, sah sie im Rückspiegel, wie Nicky zum Fahrkartenschalter humpelte.
Zwei Stunden später war Nicky endlich zu Hause. Sie verriegelte die Tür, schaltete die Alarmanlage ein, zog die Vorhänge zu, streifte das schmutzige Kleid und die Schuhe ab und schleppte sich die Treppe hinauf. Eine halbe Stunde lang duschte sie siedend heiß und schrubbte sich wie besessen. Es war ihr unmöglich, die irren Bilder der vergangenen Tage auszublenden. Schließlich saß sie im Bademantel
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