Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
sich da nicht persönlich reinziehen zu lassen. Sie war nach Hause gekommen, hatte zugeschaut, wie Isla Barbie im Hochzeitskleid durch den Flur schweben und Herbie, die Plüschraupe, vor dem Altar küssen ließ, während im Wohnzimmer ein Disneyfilm lief, in dem Prinzessinnen mit hübschen Hochzeitsanwärtern tanzten. Und dabei hatte sie noch die Bilder im Kopf gehabt von dem, was manche Frauen mit ihren Männern oder Freunden durchmachten: Gewalt und Schmerz und Ausbeutung, immer getarnt als Liebe.
Der Rock klebte schon wieder an ihren Beinen. Nicht zuletzt war da der Altersunterschied: Nicky war sechsunddreißig, der Kidnapper knapp dreiundzwanzig. In der konservativen Sichtweise, die in den meisten Gerichtssälen vorherrschte, konnte Nicky leicht als lächerlich dastehen. Kein Wunder, dass diese Frau mit ihren teuren Klamotten und dem Sportwagen vor der Tür – einem BMW , stand im Bericht – nicht wollte, dass die Geschichte bekannt wurde. Sie war darauf aus, den schönen Schein zu wahren, vielleicht auch darauf, ihre Ehe zu retten.
»Was sind das für Stellen an Ihren Armen?«
Nicky versteifte sich. Ihre kurzen Ärmel waren hochgerutscht, und die ringförmigen Spuren waren deutlich zu sehen.
»Nicky?«
»Wer war Struan Clarke?« Jetzt ging Nicky in die Offensive.
»Fünfunddreißig Jahre alt. Türsteher und Ex-Soldat, der auf den Falklandinseln gedient hat. Zu dieser Gegend hatte er keinerlei Bezug. Die meisten Einbrecher bleiben in ihrem Kiez.« Sie hielt kurz inne. »Er hatte sich weit von zu Hause wegbewegt, aber keine Sorge, Nicky, wir werden klären, warum.«
»Hatte er Familie?«
Langsam verstand Jenny gar nichts mehr. Die Polizei hatte sich hinter Nicky gestellt, um ihr in ihrer Notlage zu helfen. Es war weder an Geld noch an Anstrengungen gespart worden, um sie zu beschützen, den Gewalttäter festzunehmen und die Anklage vorzubereiten. Ihr Team stand für eine zivilisierte Gesellschaft, die sich ihrer Bürger annahm. Und jetzt, ein paar Stunden später, hatte Nicky ihre Aussage zurückgezogen und war damit ins Lager des Feindes gewechselt. Das war ihnen beiden sehr deutlich bewusst.
»Er hatte eine Freundin, der gerade sehr unschöne Nachrichten überbracht werden.«
»Hat Adam eine Polizeiakte?«
Aha. Jetzt ließ sie die Journalistin raushängen und bildete sich ein, sie sei in der Position, Fragen zu stellen.
Jenny starrte sie an. Irgendwas an dieser Frau war seltsam. Irgendwas passte nicht.
»Ist Ihnen klar, dass Adam Thornton, wenn Sie Ihre Aussage ändern, wahrscheinlich bald hier rausspazieren wird? Dann werde ich nicht verhindern können, dass Ihr Name in der Presse erscheint. Und seiner ebenso. Sind Sie darauf vorbereitet?«
Sie sah zu, wie Nicky trotzig das Kinn vorschob.
»Besser denn je.«
28
J enny entschuldigte sich kurz und kehrte in den Flur zurück, wo Sondra sich mit einer alten Nummer der
Police Review
Luft zufächelte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Sondra.
»Wenn’s nach mir geht, belangen wir sie wegen Irreführung der Ermittler.«
»Glaubst du ihr?«
Jenny, die mehr als ungehalten war, seufzte.
»An irgendeiner Stelle wird uns hier eine fette Lüge aufgetischt. Erstens: Warum ist sie erst am nächsten Tag abgehauen? Zweitens: Warum hat sie den Wagen des Toten genommen, und wer ist dieser Kerl überhaupt? Vor zehn Jahren ist er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden und hat zwei Monate abgesessen, aber das ist auch alles. Adam Thornton hat ihn getötet, das sagen sie beide, aber sie hat überall blaue Flecken und Schrammen …«
»Meinst du,
sie
hat Clarke getötet?«
Jenny lächelte. Deshalb arbeitete sie so gern mit Sondra zusammen. Das Mädchen kam auf Ideen, die jedem anderen völlig abseitig erschienen wären, und es war durchaus nicht sicher, ob sich das auf ihre Karriere günstig auswirken würde. Jenny selbst hatte auf die harte Tour gelernt, dass originelles Denken einen bei der Truppe nicht unbedingt vorwärtsbrachte. Genau genommen war es ein klarer Nachteil.
»Sie hat ihn getötet, und dann hat sie Adam Thornton dazu gebracht, für sie zu lügen, damit ihr angenehmes Leben nicht durcheinanderkommt?«
»Könnte doch sein«, sagte Sondra.
»Aber warum hat sie dann behauptet, er hätte sie gefangen gehalten?«
»Weil es so war. Er hat Spielchen gespielt mit ihr. Hast du die Abdrücke an den Armen gesehen?« Sondra schüttelte sich und schnaubte angewidert. »Er steht darauf, Frauen zu unterwerfen, das Machtgefühl gibt ihm
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