Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
dass es ihm überhaupt an der richtigen Perspektive fehlte: auf Adam, auf Hayersleigh, auf den hasserfüllten Rüpel von Barnsley, der an der Leine riss und es kaum erwarten konnte, sein, Thorntons, Land für die geplante Flughafenerweiterung zu schlucken.
Allein den Namen fand Lawrence abstoßend. Lyndon B. Passend für eine Kreuzung aus Popstar und Fußballer. Barnsley war von der Sorte, die Connie mochte – ein Mann ohne Hintergrund, einer, der sich seine Geschichte Stück für Stück ausdachte. Sich ständig neu zu erfinden war die Show seines Lebens. Er erinnerte Lawrence an die Playboys und Schauspieler, mit denen Connie sich umgeben hatte, als sie noch arbeitete. Einmal hatte sie sich sogar mit Barnsley getroffen. Sie hatte verkaufen wollen, hatte das Geld, das das Haus selbst und seine Lage inzwischen wert waren, kassieren und für vergängliche Dinge ausgeben wollen. Andererseits war es auch nicht ihre Tragödie, oder? Ihr Verhältnis zum Haus würde immer ein anderes sein als seins.
Bridget ergriff seine Hand und ließ sie ein paarmal auf seinem Knie auf und ab hüpfen, und er spürte, wie der furchtbare Druck, der ihm die Luft zum Atmen nahm, sobald er sich dem Haus näherte, allmählich nachließ.
»Danke, dass du mitkommst.«
Sie lächelte. »Jederzeit – und das weißt du auch, Lawrence. Vergiss nicht: Es ist nicht deine Schuld.« Sie drückte seine Hand und fügte mit Nachdruck hinzu: »Ich weiß, dass du es anders siehst, aber es ist nun mal die Wahrheit. Punkt.«
Er antwortete nicht. Sein eigener Sohn hatte in diesem verfluchten Haus einen Einbrecher niedergerungen und getötet. Ihn schockierte das nicht. Die Gabe, schockiert zu sein, hatte er schon vor vielen Jahren eingebüßt. Wenn das Schlimmste, das man sich überhaupt vorstellen konnte, eintrat, wurde alles andere zum bloßen Rauschen. Er empfand nur eine große Enttäuschung. Dass Kinder Freude machten, war der größte Schwindel, dem man im Alter aufsaß. Sein Fleisch und Blut – das einzig Bleibende, das Catherine und er gemeinsam hervorgebracht hatten – war verdorben, genauso verdorben, wie sie es gewesen war.
Eine Laune des Schicksals hatte Adam der Mutterliebe beraubt, und in diesem konfessionellen Zeitalter war er schnell dazu gekommen, um eine idealisierte Beziehung zu trauern, die allein in seiner Vorstellung existierte. Er selbst, Lawrence, dagegen hatte den konkreten Verlust ertragen müssen. Für Adam konnte Cathy nur eine Heilige sein, und Heilige waren nicht real. Die reale Cathy war eitel gewesen, oft gelangweilt und flatterhaft, aber auch reizend und klug, und er hatte sie geliebt, wie sie war. Selbst ihre Schwächen hatte er angebetet: die lächerlichen Malereien, den Snobismus, das oberflächliche Gerede. Und er würde all das noch immer anbeten.
Manchmal war es, als sei sie erst vor fünf Minuten gestorben, dann wieder schien ihr Tod so weit zurückzuliegen, dass er kaum glauben konnte, dass es sie überhaupt je gegeben hatte. Die Zeit dehnte sich und zog sich zusammen wie eine Origami-Arbeit. Sie hatte ihr Leben verloren. Er hatte sich selbst verloren. Ich bin im Exil, dachte er, geflohen vor meinem eigenen Leben. Er sah Adam als Baby in Latzhose vor sich, wie er die flachen Stufen von der Terrasse zum Rasen hinunterkrabbelte, wie er eine Ente auf Rädern hinter sich herzog, hinfiel und sich die Lippe aufschlug. Damals hatte er den Schmerz seines Sohnes gespürt, als sei es sein eigener. Als sie sich an diesem Tag am Bahnhof getroffen hatten, war die Narbe selbst unter Adams Bräune zu sehen gewesen. Lawrence hatte sie wahrgenommen und nichts gespürt. Das gemeinsame Kind hätte ihn stützen und aufrecht erhalten sollen, aber so war es nicht gewesen. Nicht wenige Trauernde sagten, sie hätten ihren Anker verloren, ihren Leitstern. Damals hatte er es nicht gewusst, aber jetzt erkannte er es umso schmerzlicher: Er hatte seine Zukunft verloren. Die Kontinuität seines Seins und Werdens hatte einen irreparablen Knacks erlitten.
Bridget sagte, das mache ihn zu einem besseren Richter. Er fürchtete, es machte ihn zum schlechtesten: Er war emotional, wo Recht und Gesetz doch nur funktionierten, wenn keine Emotionen im Spiel waren. Er sah bei seiner Arbeit tagtäglich so viele Arten von Trauer – die leeren Gesichter der Opferangehörigen, ihre Hände, die sich, ob knochig oder fett, um ein zerknülltes Papiertaschentuch krampften. Er hörte sie toben, wenn ihm durch das System die Hände gebunden waren und er
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