Du sollst nicht sterben
weiter als am Sonntagabend. Der Alkohol, der noch vor einer Stunde seinen Mut befeuert hatte, raubte ihm jetzt die Energie.
Das alte Apartmenthaus tauchte zu seiner Linken auf. Es herrschte wenig Verkehr, und er war nur vereinzelten Fußgängern begegnet. Ein paar Autos, die in nördlicher Richtung fuhren, standen an der roten Ampel. Spicer wurde langsamer, wartete, wollte nicht auffallen.
Endlich setzten sich die Autos in Bewegung. Er überquerte den Parkplatz vor dem Gebäude und ging um das Haus herum zu den Garagen, die in völliger Dunkelheit lagen. Das einzige Licht drang aus einigen Fenstern im Haus.
Er ging zur letzten Garage, die ihn am Sonntag angelockt hatte. Alle anderen hatten nur ein Schloss im Türgriff, doch diese war mit vier schweren Bolzenschlössern gesichert, zwei an jeder Seite. Das machte man nur, wenn man etwas Wertvolles in seiner Garage lagerte.
Natürlich könnte es auch ein Oldtimer sein. Nun gut, er kannte einen Händler, der ihm anständiges Geld für Ersatzteile bezahlen würde: Lenkrad, Schalthebel, Abzeichen, Kühlerfiguren und alles andere, das sich abmontieren ließ. Mit etwas Glück würde er jedoch andere Dinge finden. Er wusste aus Erfahrung, dass Garagen sehr beliebt waren, um beispielsweise Diebesgut zu lagern. Das hatte er selbst jahrelang so gehalten. In ihnen konnte man Wertsachen aufbewahren, die von ihren Eigentümern ohne weiteres identifiziert werden konnten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Danach konnte man sie verticken.
Er stand ganz still in der Dunkelheit, schaute zu dem Haus hinauf und suchte nach Schatten am Fenster. Niemand zu sehen.
Er griff rasch in die Tragetasche und machte sich am ersten Schloss zu schaffen. Es ließ sich nach weniger als einer Minute öffnen. Die anderen leisteten ebenfalls kaum Widerstand.
Er glitt wieder in den Schatten und schaute sich gründlich um. Noch immer niemand zu sehen. Er öffnete das Tor und hielt verblüfft inne. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er trat hinein, schloss nervös das Tor hinter sich und schaltete die Taschenlampe ein.
»Oh, Scheiße«, sagte er laut, als der Lichtstrahl seine Vermutung bestätigte.
Entsetzt stolperte er hinaus. Seine Gedanken rasten. Mit zitternden Händen verschloss er die Garage, wollte keine Spuren hinterlassen. Dann eilte er hinaus in die Nacht.
90
Jetzt
Samstag, 17. Januar
Facebook Jessie Sheldon 128 Fotos 253 Freunde
Benedict lernt heute Abend auf dem Wohltätigkeitsball meine Eltern kennen. Ich bin nervös!!! Vorher gehe ich zum Kickboxen. Falls es Probleme gibt und sie gemein zu ihm sind, sollen sie bloß aufpassen. Und … ich werde meine neuen Stilettos von Anya Hindmarch tragen!
Den letzten Eintrag hatte er mit einem schwachen Lächeln gelesen. Du
bist so gut zu mir, Jessie. Am Withdean-Stadion hast du mich versetzt, aber heute Abend wirst du das doch nicht tun, oder? Wenn du um die übliche Zeit mit dem Kickboxen fertig bist, gehst du den knappen Kilometer zu deiner Wohnung am Sudeley Place und ziehst dein wunderschönes Kleid und die neuen Schuhe an – du wirst hinreißend aussehen. Dann steigst du in Benedicts Auto, das schon draußen wartet. So sieht doch dein Plan aus, oder?
Tut mir leid, wenn ich ein Spielverderber bin …
91
Jetzt
Samstag, 17. Januar
Wegen der Überwachungsoperation hatte Roy Grace die Abendbesprechung am Vortag abgesagt. Jetzt am Morgen musste das Team die Aktivitäten der vergangenen vierundzwanzig Stunden aufarbeiten.
Es gab viele Aktivitäten, aber wenig Fortschritte.
Was immer der Schuh-Dieb in den vergangenen zwölf Jahren getrieben hatte, er hatte es sehr geschickt vertuscht.
Auch die vergangene Nacht war ruhig gewesen. Die ganze Stadt wirkte wie ein Friedhof. Nachdem alle über Weihnachten gefeiert hatten, schienen sich die Bewohner ins traute Heim zurückgezogen zu haben und unter der Rezession zu leiden. Trotz umfassender Observierung war der Taxifahrer John Kerridge alias Jak nicht mehr in der Gegend gesehen worden.
Positiv war nur, dass Grace jetzt das vollständige Überwachungsteam aus fünfunddreißig Beamten zur Verfügung stand, das nötig war, um die Umgebung der Eastern Road über Nacht abzudecken. Sie wären bereit.
Dr. Julius Proudfoot rechnete nach wie vor mit einem Angriff.
Als die Besprechung zu Ende war, klingelte eine der internen Leitungen. Glenn Branson war gerade auf dem Weg zur Tür, als Michael Foreman ihm hinterherrief: »Für dich, Glenn!«
Er quetschte sich zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher