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Du sollst nicht sterben

Titel: Du sollst nicht sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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seltsam saugendes Geräusch, das beinahe wie ein Stöhnen klang, so als gäbe die Erde ihr Eigentum nur zögernd preis. Plötzlich hob sich der Sarg in die Höhe.
    Er schabte an den Seiten der Grube entlang, die Winde knirschte, bis er schließlich ein Stück über dem Grab schwebte. Er schwankte hin und her. Alle schauten ehrfürchtig zu. Einige Erdbrocken fielen hinunter und landeten lautlos am Boden des Grabes.
    Grace betrachtete das helle Holz. Es sah ziemlich gut erhalten aus, als hätte es nur wenige Tage in der Erde gelegen. Welche Geheimnisse mögen darin verborgen sein? Bitte, Gott, mach, dass es uns zu diesem Täter führt.
    Nadiuska de Sancha, die Pathologin des Innenministeriums, war bereits verständigt worden und würde zum Leichenschauhaus fahren, sobald der Sarg im Lieferwagen stand.
    Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Knacken, wie ein Donnerschlag. Alle zuckten zusammen.
    Etwas, das die Größe und Form eines menschlichen Körpers hatte und in schwarze Folie und Klebeband gewickelt war, durchbrach den Boden des Sarges und verschwand im Grab.

107
Jetzt
Sonntag, 18. Januar
    Wieder rang Jessie nach Luft. In ihrer Panik warf sie sich hin und her und versuchte verzweifelt, den Kopf zur Seite zu drehen, um die Nase ein bisschen freizubekommen. Ben, Ben, bitte komm, bitte hilf mir.
    Es tat höllisch weh, jeder Muskel in ihrem Hals schien aus den Schultern gerissen zu werden. Doch immerhin bekam sie jetzt etwas Luft. Nicht genug, aber es reichte, um die Panik vorübergehend zu vertreiben. Sie sehnte sich verzweifelt nach Wasser. Ihre Augen waren wund vom Weinen.
    Sie betete aufs Neue.
    Obwohl sie die Hölle durchlebte, versuchte sie, sich zu konzentrieren und klar zu denken. Denn irgendwann würde ihr Peiniger zurückkehren.
    Falls er ihr das Essen brachte, von dem er gesprochen hatte, müsste er sie losbinden – jedenfalls soweit, dass sie sich hinsetzen und essen konnte. Wenn sie überhaupt eine Chance hätte, dann in diesem Augenblick.
    Nur eine einzige Chance.
    Alle Muskeln in ihrem Körper taten weh, doch trotz ihrer Erschöpfung hatte sie sich noch Kraft bewahrt. Sie ließ sich verschiedene Fragen durch den Kopf gehen. Wie clever war er? Wie konnte sie ihn täuschen? Sich tot stellen? Einen Anfall vorgaukeln? Es musste doch irgendetwas geben, an das sie noch nicht gedacht hatte.
    An das er nicht gedacht hatte.
    Wie viel Uhr war es? In dieser langen, dunklen Leere, in der sie schwebte, verspürte sie auf einmal das dringende Bedürfnis, die Zeit zu messen. Herauszufinden, wie lange sie schon hier war.
    Sonntag. Nur das wusste sie mit Gewissheit. Das Essen, von dem er gesprochen hatte, musste das Mittagessen am Sonntag sein. War er seit einer Stunde weg? Einer halben? Zwei Stunden? Vier? Das schwache graue Licht war verschwunden. Sie war wieder von absoluter Dunkelheit umgeben.
    Vielleicht konnten ihr die Geräusche einen Hinweis geben. Das endlose, schwache Scheppern, Klappern, Knirschen und Schlagen offener Fenster, Türen, Metallbleche oder was immer es auch sein mochte. Nur ein Geräusch erklang in einem festen Rhythmus. Ein Schlagen, das widerhallte. Sie hörte es erneut und begann zu zählen.
    Eintausendeins, eintausendzwei, eintausenddrei, eintausendvier. Bumm. Eintausendeins, eintausendzwei, eintausenddrei, eintausendvier. Bumm.
    Ihr Vater war ein begeisterter Fotograf. Als sie ein Kind war und die Digitalfotografie noch nicht ihren Siegeszug angetreten hatte, entwickelte er die Fotos in seiner eigenen Dunkelkammer. Sie stand gern mit ihm im Dunkeln oder im schwachen Schein der Rotlichtlampe. Wenn er eine Filmdose öffnete, war es stockfinster, und ihr Vater ließ sie die Sekunden zählen, wie er es ihr beigebracht hatte. Wenn man langsam eintausendeins sagte, war das ziemlich genau eine Sekunde.
    Sie konnte also berechnen, dass das Geräusch etwa alle vier Sekunden ertönte. Fünfzehn mal pro Minute.
    Sie zählte eine Minute. Dann fünf. Zehn. Zwanzig Minuten. Eine halbe Stunde. Irgendwann durchfuhr sie heißer Zorn, weil sie sich mit etwas so Sinnlosem beschäftigte. Warum ich, Herrgott, falls es dich denn gibt? Warum willst du die Liebe zwischen Benedict und mir zerstören? Weil er kein Jude ist, geht es dir darum? Das ist doch krank! Benedict ist ein guter Mensch, er widmet sein ganzes Leben den Menschen, denen es weniger gut geht als ihm selbst. Das versuche ich übrigens auch, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.
    Wieder begann sie zu schluchzen.
    Und zählte

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