Du sollst nicht sterben
überhaupt nicht schätzte.
Es ärgerte sie, dass Roy in einem Pub oder Restaurant immer den Tisch auswählte, der ihm den besten Überblick verschaffte, und er stets mit dem Rücken zur Wand sitzen wollte.
Er lächelte, als er das Licht im Erdgeschoss sah. Also war Sandy noch auf. Er bog in die Einfahrt und hielt vor dem Garagentor. Sandys kleiner, noch klapprigerer Renault stand drinnen im Trockenen.
Sie hatten die Doppelhaushälfte mit den vier Zimmern vor etwa einem Jahr gekauft. Es war ein großer Schritt von der kleinen Wohnung in Hangleton, in der sie seit der Hochzeit gelebt hatten, und eine gewaltige finanzielle Belastung. Sandy hatte ihr Herz an das Haus gehängt und ihn davon überzeugt, es zu kaufen. Er hatte wider besseres Wissen zugestimmt und kannte auch den wahren Grund. Sandy litt sehr darunter, dass sie kein Baby bekommen konnte, und daher wollte er ihr irgendwie eine Freude bereiten.
Kurz bevor Sandy das Haus entdeckt hatte, war ihre Periode ausgeblieben, und sie hatten sich neue Hoffnungen gemacht, die sechs Wochen später zerstört wurden. Sie war in eine tiefe Depression verfallen, so schlimm, dass er sich ernsthafte Sorgen gemacht hatte. Dann rief sie ihn einige Tage später im Büro an, weil sie ein Haus gefunden hatte. Es übersteige ihr Budget, habe aber großes Potenzial. Er werde begeistert sein!
Grace schaltete den Motor aus und trat in den eisigen, prasselnden Regen. Er war erschöpft. Dann holte er die prall gefüllte Aktentasche heraus. Lauter Akten, die er heute Abend noch durchgehen musste. Er rannte zur Haustür und schloss auf.
»Hallo, Liebling!«, rief er. Drinnen lief der Fernseher. Es roch verführerisch nach gebratenem Fleisch. Völlig ausgehungert zog er den Regenmantel aus und hängte ihn an die antike Wandgarderobe, die sie an einem Marktstand in der Kensington Street gekauft hatten. Er ließ die Aktentasche fallen und ging ins Wohnzimmer.
Sandy lag auf dem Sofa, in einen dicken Bademantel gewickelt und in eine Decke gehüllt, trank Rotwein und schaute Nachrichten. Ein Reporter stand mit einem Mikrophon in der Hand vor einem niedergebrannten Dorf.
»Tut mir leid, Liebling«, sagte er lächelnd. Sie sah so schön aus, ungeschminkt und mit feuchtem Haar. Er fand es wunderbar, dass sie ohne Make-up ebenso gut aussah wie mit.
»Was tut dir leid – was im Kosovo passiert?«, konterte sie.
Er beugte sich vor und küsste sie. Sie roch nach Shampoo und Seife. »Nein, dass ich so spät komme.«
»Warum tut es dir nicht um den Kosovo leid?«
»Das tut mir auch leid. Mir tut auch Rachael Ryan leid, die immer noch vermisst wird, und auch ihre Eltern und ihre Schwester tun mir leid.«
»Sind sie dir wichtiger als der Kosovo?«
»Ich brauche was zu trinken. Und ich bin kurz vor dem Verhungern.«
»Ich habe schon gegessen. Ich konnte nicht länger warten.«
»Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich so spät komme. Es tut mir leid um den Kosovo. Es tut mir leid um jedes verdammte Problem dieser Welt, das ich nicht lösen kann.«
Er bückte sich und holt eine Flasche Glenfiddich aus dem Barschrank. Als er damit in die Küche ging, rief sie ihm hinterher: »Ich habe dir einen Teller Lasagne in die Mikrowelle gestellt, und im Kühlschrank ist Salat.«
»Danke«, rief er zurück.
In der Küche goss er sich vier Fingerbreit Whisky ein, warf Eiswürfel dazu, holte seinen Lieblingsaschenbecher aus der Spülmaschine und kehrte zurück ins Wohnzimmer. Er zog Jackett und Krawatte aus und ließ sich in seinen Sessel fallen, da Sandy das Sofa für sich beanspruchte. Er zündete sich eine Zigarette an.
Wie in einem Pawlowschen Reflex wedelte Sandy imaginären Rauch weg.
»Wie war dein Tag?«, fragte er.
Eine junge attraktive Frau mit schwarzer Kurzhaarfrisur und Kampfanzug erschien auf dem Bildschirm, im Hintergrund sah man verbrannte Häuser. Sie hielt ein Mikrophon in der Hand und sprach über das furchtbare menschliche Leid im Bosnienkrieg.
»Sie ist der Engel von Mostar«, sagte Sandy und deutete zum Fernseher. »Sally Becker, sie kommt aus Brighton. Sie tut etwas gegen den Krieg. Was tust du dagegen, Detective Sergeant, besser gesagt, Detective Inspector in spe?«
»Ich werde mich um den Krieg in Bosnien und alle anderen Probleme dieser Welt kümmern, sobald wir den Krieg in Brighton gewonnen haben. Den Krieg, für den ich bezahlt werde.«
Sandy schüttelte den Kopf. »Du verstehst es nicht, Liebling, oder? Diese junge Frau ist eine Heldin.«
Er nickte. »Ja, das ist
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