Du sollst nicht sterben
wussten meist nur über ihre eigenen Fälle Bescheid.
Das einzig Positive war, dass man mit Kevin Spinella durchaus zusammenarbeiten konnte. Er zeigte sich kooperativ, wenn man ihm brauchbare Informationen lieferte.
»Verdammt nochmal, was ist denn nur mit Albion los?«, fragte Michael Foreman, der wie immer wie aus dem Ei gepellt hereinmarschierte. Im frühen Stadium einer Ermittlung trugen die meisten Kripobeamten Anzüge, weil sie nie so genau wussten, wen sie verhören mussten. Vor allem bei den nächsten Angehörigen eines Opfers mussten sie Respekt zeigen. Foreman hingegen kleidete sich immer elegant.
»Das zweite Tor!«, rief DC Nicholas ungewohnt erregt und schüttelte die Fäuste. »Was sollte das eigentlich? Hallo??«
»Na ja, ich bin eigentlich für Chelsea«, entgegnete der Analyst John Black. »Albion habe ich längst abgeschrieben. Seit dem Tag, an dem sie das Goldstone-Stadion aufgegeben haben.«
»Aber wenn sie ins neue Stadion ziehen, wird das eine große Sache!«, meinte Michael Foreman. »Da können sie ihren Stolz zurückgewinnen.«
»Von wegen Stolz, das sind doch alles Weicheier«, brummte Norman Potting, der als Letzter hereinschlurfte und wie immer nach Pfeifentabak stank.
Er ließ sich gegenüber von Grace auf einen Stuhl fallen. »Tut mir leid, dass ich so spät bin, Roy. Frauen! Ich sag Ihnen, ich hab die Nase voll. Ich heirate nie wieder. Es reicht. Vier sind genug!«
»Darüber dürfte die Hälfte der britischen Bevölkerung durchaus erleichtert sein«, konterte Bella Moy.
Potting beachtete sie nicht und schaute Grace düster an. »Sie erinnern sich an unser Gespräch vor Weihnachten?«
Grace nickte. Er wollte sich ungern von den neuesten Verwicklungen in der langen Saga eines katastrophalen Liebeslebens ablenken lassen.
»Ich würde gern noch einmal auf Ihre Weisheit zurückgreifen. Nächste Woche oder so, wenn es Ihnen passt, Roy? Wenn Sie mal eine Minute für mich erübrigen könnten.«
Wenn ich eine Minute erübrigen könnte, würde ich sie mit Schlafen verbringen, dachte Grace erschöpft und nickte Potting dennoch zu. »Klar doch, Norman.« Trotz der Tatsache, dass ihn der DS häufig auf die Palme brachte, tat ihm der Mann irgendwie leid. Er hätte längst pensioniert sein können, doch die Arbeit war wohl das Einzige, das seinem Leben noch einen Sinn verlieh.
Als Letzter betrat Dr. Julius Proudfoot den Raum. Er trug eine große braune Ledertasche über der Schulter. Der Kriminalpsychologe hatte in den vergangenen zwanzig Jahren an vielen wichtigen Fällen mitgearbeitet und genoss den Status einer kleinen Berühmtheit. Er hatte auch einen lukrativen Vertrag mit einem Verlag abgeschlossen. In vier autobiographischen Büchern, die seine bisherige Karriere nachzeichneten, prahlte er mit Fällen, bei denen er viele gefährliche Kriminelle in Großbritannien zur Strecke gebracht habe.
Einige leitende Polizeibeamte hatten gelästert, die Bücher sollten lieber in der Belletristikabteilung statt bei den Sachbüchern stehen. Sie waren der Ansicht, dass er in einigen Fällen Beifall eingeheimst hatte, obwohl er nur eine Nebenrolle gespielt hatte, und selbst das nicht immer mit Erfolg.
Grace teilte ihre Ansicht, hoffte aber, dass der Mann aufgrund seiner Verbindung zur Operation Houdini etwas zu ihrer augenblicklichen Ermittlung beitragen konnte. In den zwölf Jahren, seit sie einander zuletzt begegnet waren, war der Psychologe sichtlich gealtert und hatte an Gewicht zugelegt. Grace machte ihn mit den Teammitgliedern bekannt und wandte sich der Tagesordnung zu.
»Zunächst möchte ich mich bedanken, dass ihr auf euer Wochenende verzichtet habt. Zweitens möchte ich berichten, dass die Prüfstelle an unserer Ermittlung nichts auszusetzen hat. Sie sind bisher mit allen Aspekten zufrieden.« Er hielt kurz inne. »Heute ist Montag, der 12. Januar, es ist 8.30 Uhr. Dies ist die sechste Besprechung der Operation ›Schwertfisch‹. Wir ermitteln in den Fällen der Vergewaltigung von zwei Personen, Mrs Nicola Taylor und Mrs Roxy Pearce, sowie eines möglichen dritten Opfers, Miss Mandy Thorpe.«
Proudfoot hob die Hand und wackelte mit seinen dicklichen Fingern. »Entschuldigen Sie, Roy, aber warum sagen Sie, es gebe vielleicht ein drittes Opfer? Im Fall von Mandy Thorpe dürften doch wohl keine großen Zweifel bestehen.«
Grace schaute den Psychologen an.
»Die Vorgehensweise ist deutlich anders. Aber dazu komme ich später noch, es steht auf der Tagesordnung.«
Proudfoot
Weitere Kostenlose Bücher