Du sollst nicht sterben
jede Menge Second-Hand-Shops, in denen man ein paar Pfund dafür bekommt. Ich kaufe da manchmal auch, man kann echte Schnäppchen machen.«
Grace schaute Bella flüchtig an. Sie war Anfang dreißig, alleinstehend und lebte mit ihrer alten Mutter zusammen. Manchmal tat sie ihm ein bisschen leid, weil sie keine unattraktive Frau war, aber überhaupt kein Privatleben zu haben schien.
»Zehn Prozent des ursprünglichen Preises, Bella?«
»Keine Ahnung. Höchstens zwanzig Pfund, würde ich sagen.«
Grace überlegte. Diese neue Information reichte sicherlich aus, um eine Verhaftung zu rechtfertigen. Und doch … etwas daran stimmte nicht. Spicer war als Verdächtiger schon zu offensichtlich. Gewiss, er war rechtzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden, um an Silvester die erste Vergewaltigung begangen haben zu können. Mehr noch, er hatte zu dieser Zeit im Metropole Hotel gearbeitet. Und nun hatten sie soeben erfahren, dass er bei seinem letzten Einbruch die Schuhe des Opfers mitgenommen hatte. Andererseits – konnte der Mann wirklich so dämlich sein?
Wichtiger noch war Spicers Laufbahn als Berufseinbrecher und Drogenhändler. Er hatte davon gelebt, in Häuser einzubrechen und die Safes darin zu öffnen, hatte Schmuck, Uhren, Silber und Bargeld gestohlen. Weder Nicola Taylor noch Roxy Pearce hatten bisher irgendeinen Diebstahl außer dem ihrer Schuhe gemeldet. Das Gleiche galt für Mandy Thorpe. Falls Spicer sich im Gefängnis nicht völlig geändert hatte, was Grace angesichts seiner Vergangenheit bezweifelte, schien es eine völlig andere Vorgehensweise zu sein.
Andererseits konnte er nicht sicher sein, dass Spicer keine weiteren Sexualstraftaten begangen hatte. War er möglicherweise der Schuh-Dieb? Die Informationen, die Ellen zusammengestellt hatte, zeigten, dass er sich zum Zeitpunkt der damaligen Straftaten auf freiem Fuß befunden hatte. Andererseits vergewaltigte und überfiel der Schuh-Dieb seine Opfer auf besonders brutale Weise. Er versuchte nicht nur, sie zu küssen, wie Spicer es getan hatte. Auch hier stimmte die Vorgehensweise nicht überein.
Gewiss, sie konnten ihn verhaften. Die großen Tiere würden sich darüber freuen, aber vermutlich nicht sehr lange. Wie sollte er mit Spicer fortfahren? Woher die Beweise nehmen, die für eine Verurteilung erforderlich waren? Der Täter trug eine Maske und sprach kaum, daher gab es keine Beschreibungen von Gesicht oder Stimme. Sie hatten nicht einmal eine brauchbare Größenangabe. Mittlere Größe, aber das war geraten. Leicht gebaut. Geringe Körperbehaarung.
Die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung zeigten, dass der Täter bei allen drei Opfern kein Sperma hinterlassen hatte. Bislang gab es keine DNA-Proben, keine Haare, Fasern oder Überreste, die unter den Fingernägeln zurückgeblieben waren. Natürlich standen sie noch am Anfang. Es würde einige Wochen dauern, bis alles untersucht war, und so lange konnten sie Spicer ohne Anklage nicht festhalten. Die Staatsanwaltschaft würde kategorisch erklären, dass die Verdachtsmomente nicht ausreichten.
Natürlich konnten sie ihn fragen, weshalb er Marcie Kallestads Schuhe mitgenommen hatte, doch wenn er wirklich der Gesuchte war, würde ihn das warnen. Das galt auch bei einem Durchsuchungsbefehl für seinen Spind im Obdachlosenheim. Glenn und Nick hatten berichtet, dass er zu glauben schien, er habe ihre Fragen zufriedenstellend beantwortet. Daher würde er sich in Sicherheit wiegen und womöglich weitere Straftaten begehen. Zeigten sie hingegen zu großes Interesse an ihm, würde er untertauchen oder die Stadt verlassen. Dabei brauchte Grace unbedingt ein Resultat – nicht weitere zwölf Jahre des Schweigens.
Er überlegte kurz und sagte dann zu Glenn Branson: »Hat Spicer ein Auto? Oder Zugang zu einem?«
»Den Eindruck hatte ich nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Er hat gesagt, er gehe zu Fuß, um das Busgeld zu sparen, Chef«, fügte Nick Nicholas hinzu.
»Vermutlich kann er sich eins besorgen, wenn er es braucht«, sagte Ellen Zoratti. »Er hat einige Vorstrafen wegen Autodiebstahls – für einen Lieferwagen und einen privaten Pkw.«
Gut, dass er kein Transportmittel besaß, dachte Grace. Das würde die Observierung deutlich vereinfachen. »Ich glaube, es wäre lohnender, ihn zu überwachen, statt ihn zu verhaften. Wir wissen, wo er sich zwischen 20.30 Uhr abends und 8.30 Uhr morgens aufhält. Hinzu kommt seine Umschulung im Grand Hotel, dort ist er während der Woche
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