Du sollst nicht sterben
Operation ›Schwertfisch‹ beanspruchte jedoch den gesamten Raum. Zum Glück hatte Roy Grace sich immer gut mit Tony Case, dem Senior Support Officer, verstanden, der alle vier Soko-Zentralen der Grafschaft verwaltete.
Case verlegte die anderen Ermittlungen freundlicherweise in die kleinere Soko-Zentrale 2.
Obwohl Grace am Vortag zwei Besprechungen abgehalten hatte, waren viele Mitglieder seines Teams unterwegs gewesen. An diesem Morgen hatte er jedoch eine Anwesenheitspflicht verhängt.
Er setzte sich auf einen freien Platz, vor sich den dritten Kaffee an diesem Tag. Cleo warf ihm ständig vor, er trinke zu viel Kaffee, doch nach seiner Besprechung mit ACC Rigg war ihm nach einer weiteren Dosis Koffein zumute gewesen.
Obwohl die Soko-Zentrale 1 länger nicht renoviert worden war, wirkte der Raum noch immer steril, ein wenig künstlich, ganz anders als die Büros der Polizei vor dem Rauchverbot. Fast alle hatten nach Tabak gestunken, was ihnen andererseits eine Atmosphäre verliehen hatte, die Grace bisweilen vermisste. Das ganze Leben wurde immer steriler.
Er begrüßte seine Teammitglieder, darunter auch Glenn Branson, der mit seiner Frau am Handy gerade eine der üblichen endlosen Streitereien austrug.
»Morgen, Oldtimer«, begrüßte ihn Branson, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Er steckte das Handy ein, tippte sich auf den kahlen Kopf und runzelte die Stirn.
»Was ist los?«, meinte Grace.
»Kein Gel. Vergessen?«
»Ich war heute Morgen beim neuen ACC und dachte, ich sollte ein bisschen konservativer auftreten.«
Branson, der Roy Grace vor einigen Monaten ein komplett neues Outfit verpasst hatte, schüttelte den Kopf. »Weißt du was? Manchmal tust du mir einfach nur leid. Wenn ich der neue ACC wäre, würde ich mir Beamte mit einem bisschen Pep wünschen und keine Leute, die aussehen wie mein Großvater.«
»Du kannst mich mal!«, meinte Grace grinsend. Dann gähnte er.
»Siehst du!«, triumphierte Branson. »Du kannst bei unserem Tempo nicht mehr Schritt halten.«
»Sehr witzig. Hör mal, ich muss mich jetzt ein paar Minuten konzentrieren.«
»Weißt du, an wen du mich erinnerst?«
»George Clooney? Daniel Craig?«
»Nein. Brad Pitt.«
Einen Moment lang wirkte Grace erfreut. Dann fügte sein Kollege hinzu: »Ja, in Benjamin Button. Als er wie hundert aussieht und noch nicht angefangen hat, jünger zu werden.«
Grace schüttelte den Kopf, unterdrückte ein Grinsen und ein weiteres Gähnen. Die meisten Leute mochten keine Montage, begannen die Woche aber wenigstens ausgeruht und frisch. Er hingegen hatte den ganzen Sonntag bei der Arbeit verbracht. Zuerst war er zum Pier gefahren und hatte sich den Wartungsraum der Geisterbahn angeschaut, in dem man Mandy Thorpe vergewaltigt und ernsthaft verletzt hatte, und sie danach im Royal Sussex Hospital besucht. Sie stand unter polizeilicher Bewachung. Trotz einer schlimmen Kopfverletzung hatte die junge Frau eine ausführliche Aussage machen können.
Angesichts der traumatischen Erfahrungen der Opfer spürte Roy Grace einen ungeheuren Druck, diesen Fall zu lösen. Es half auch nicht, dass Kevin Spinella, der Kriminalreporter des Argus, drei Nachrichten auf seinem Handy hinterlassen hatte. Er solle dringend zurückrufen. Grace wusste, dass er die Sache vorsichtig angehen musste, wenn er nicht nur eine sensationelle Schlagzeile, sondern auch die Unterstützung der Lokalzeitung haben wollte. Mit anderen Worten, er musste Spinella mit einem Extra-Häppchen füttern, das er nicht auf der Pressekonferenz am Mittag bekanntgeben würde. Im Augenblick aber hatte er dem Mann nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, das die Öffentlichkeit erfahren durfte.
Er rief den Reporter rasch zurück, erreichte aber nur die Mailbox. Er bat ihn, zehn Minuten vor der Pressekonferenz in sein Büro zu kommen. Bis dahin würde er sich schon etwas ausdenken.
Eines Tages würde er sich eine geeignete Falle überlegen, denn es war bekannt, dass jemand innerhalb der Polizei regelmäßig Informationen an Spinella weitergab. Diese Person hatte im vergangenen Jahr jede große Geschichte an den gewieften Reporter weitergegeben, und zwar innerhalb weniger Minuten, nachdem die Polizei benachrichtigt worden war. Es musste entweder jemand in der Telefonzentrale, der IT-Abteilung, die alle eingehenden Meldungen kontrollierte, oder einer der Ermittler sein. Letzteres bezweifelte er jedoch, denn die Informationen betrafen wirklich jedes einzelne Kapitalverbrechen, und die Ermittler
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