Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Zivilisten. Alle wurden in weiße Tücher gehüllt. Dann wurden die Leichname gefilmt. Als Ahmad später im Fernsehen sah, dass die Morde an den vier regimetreuen Familien als Regierungsmassaker dargestellt wurden, brach alles in ihm zusammen.
Die meisten Einwohner Hulas wüssten, was geschehen sei, berichtet er. Aber da der Ort von Rebellen kontrolliert werde, wage niemand, die Wahrheit auszusprechen. Es wäre sein Todesurteil. Die Welt bekomme daher vorerst nur die Schilderung der Rebellen zu hören. Etwas anderes zu erwarten sei lebensfremd.
Ich frage Ahmad, ob er jetzt Anhänger Assads sei. Er zögert. Das wisse er nicht. Er sehe die Dinge nun zwar anders als früher. Aber Assad-Anhänger sei er deshalb noch nicht. Er würde Hula am liebsten so bald wie möglich verlassen. Doch er wisse nicht, wie er dann seine Familie ernähren solle.
Ich hatte viele Berichte über Hula gelesen. Fast die gesamte westliche Welt hatte empört aufgeschrien und Assad scharf verurteilt. Westliche Regierungen einschließlich der deutschen Bundesregierung hatten kurzerhand die Botschafter Syriens des Landes verwiesen.
Lediglich zwei deutsche Journalisten hatten sich nach Recherchen in Syrien gegen den Strom gestellt. Der FAZ -Korrespondent Rainer Herrmann und der Welt -Reporter Alfred Hackensberger. Für mich ist Herrmann international einer der souveränsten Kenner des Mittleren Ostens. Doch gegen seine Hula-Berichterstattung erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Herrmann hatte sich der Weltmeinung entgegengestellt. Und seine Position auch noch mit zahllosen Fakten und Details belegt. Das konnte man nicht so einfach durchgehen lassen.
Sollte ich mir nun das, was Herrmann in den Wochen zuvor widerfahren war, auch antun? Was war, wenn Ahmad ein von der Regierung bezahlter Lügner war? In Syrien war Krieg. Warum sollte die Regierung wahrheitsliebender sein als die Rebellen? Jeden Tag ging es um Leben und Tod. Wie viel Platz blieb da für die Wahrheit?
Für Ahmads Darstellung sprach allerdings, dass das Regime und seine Schabiha-Hilfstruppen keinen Grund hatten, ausgerechnet vier regierungsfreundliche Familien zu ermorden. Man musste schon um viele Ecken herum denken, wenn man in der Ermordung schiitischer oder regierungsnaher Familien durch das Regime irgendeinen Sinn erkennen wollte.
Gegen die Version der Rebellen sprach ferner, dass sie anschließend auch die getöteten Soldaten und ihre eigenen gefallenen Kameraden als Zivilisten ausgaben. Das war zwar das übliche Massaker-Marketing. Doch wer schon bei der Beschreibung der Opfer lügt, kann nicht erwarten, dass man ihm bei der Beschreibung der Täter glaubt.
Die UNO kam in ihrem Untersuchungsbericht zu einem anderen Ergebnis als ich. Ihr Bericht ist allerdings in vielen Punkten nicht überzeugend. Da sich die Gutachter angeblich nicht selbst nach Hula begeben konnten, interviewten sie sechs Bewohner Hulas telefonisch. Über Skype. Zur Organisation dieser Skype-Interviews bedienten sie sich der Rebellen von Hula. Konnte man da erwarten, dass die ausgewählten Zeugen die Rebellen als Mörder enttarnten? Und dadurch ihr Leben riskierten? Kein rechtsstaatliches Gericht der Welt würde einer solchen Zeugenvernehmung auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken.
Außerdem bestand die »Unabhängige Untersuchungskommission« der UNO nicht gerade aus »unabhängigen« Persönlichkeiten. Mitverfasserin des Untersuchungsberichts war Karen Koning Abu Zayd. Sie war gleichzeitig Vorsitzende des Middle East Policy Council, einer Washingtoner Denkfabrik für den Mittleren Osten. Dem Vorstand dieser Organisation gehörten an:
–zwei pensionierte CIA -Mitarbeiter,
– hochrangige Vertreter von ExxonMobil Saudi-Arabien,
– der Präsident des US -Katarischen Wirtschaftsrats, zu dessen Gründungsmitgliedern auch Al-Dschasira gehörte,
–ein hochrangiger Vertreter der saudiarabischen Saudi Binladin Group,
–der frühere Chef des Zentralkommandos der US -Streitkräfte für den Mittleren Osten usw.
»Honni soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt!« Ahmad hingegen machte auf mich einen glaubwürdigen Eindruck. Sein Pass wies ihn als Mitglied einer der ermordeten Familien aus.
Frédéric und ich diskutierten lange über Hula. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass ich Ahmads Schilderung weitergeben musste. Auch wenn ich dafür – wie Rainer Herrmann – nur wütende Kritik ernten würde. Ahmad hatte einen Anspruch darauf, dass die Menschen seine Geschichte erfuhren. Jeder
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