Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Frankreich stand kurz vor Präsidentschaftswahlen.
Außerdem hatte man für die Bombardierung Libyens in bewährter Weise längst eine friedfertige Formulierung gefunden. Man wollte keinen »Krieg«, sondern lediglich eine »Flugverbotszone«. Das klang verantwortungsbewusst, friedliebend und fair. Welcher Menschenfreund konnte angesichts drohender Massaker gegen eine »Flugverbotszone« sein?
Der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates wehrte sich allerdings gegen diesen Etikettenschwindel. Er nannte die Diskussion über eine »Flugverbotszone« »verantwortungsloses Gequatsche«. 101 Eine Flugverbotszone setze immer ein Bombardieren der gegnerischen Flugabwehr voraus. Libyen stelle außerdem keine Bedrohung der USA dar. 102
Doch dann machte auch er gezwungenermaßen gute Miene zum bösen Spiel. Seine nachträgliche Begründung hat einen Ehrenplatz im Museum der Kriegslügen verdient. Laut Gates war die Intervention gerechtfertigt, weil sonst »Flüchtlingswellen möglicherweise die Revolutionen in Tunesien und Ägypten gefährdet hätten«. 103 Manchmal fällt selbst gescheiten Verteidigungsministern nichts Gescheites mehr ein. Wenn die Wahrheit tabu ist.
Am 19. März 2011 begann die Militäroperation der NATO gegen Libyen. Dankenswerterweise ohne Deutschland. Die Bundesregierung sollte stolz sein auf den Spott und Hohn, der sich über sie ergoss. Man muss nicht bei jeder Metzelei dabei sein.
Der Friedhof der Panzer
Am 19. März war Gaddafis weit auseinandergezogene Panzerarmee bis auf wenige Kilometer auf Bengasi vorgerückt. Hier wurde sie von der NATO in einem apokalyptischen Feuersturm vernichtet. Das höllische Massaker dauerte gerade einmal 15 Minuten. Dann hatte Gaddafi keine Panzerarmee mehr.
Mit Ahmad fahren wir schweigend das Schlachtfeld ab. Über eine Stunde lang kommen wir an ausgebrannten Kampfpanzern, Schützenpanzern, Lastwagen, Pritschenwagen, Armeejeeps und Pkws vorbei.
Die meisten Fahrzeuge hatten versucht, den NATO -Flugzeugen zu entkommen. In verzweifelten Manövern rollten, rasten, flohen sie in die Wüste. Doch aus dem kühl geplanten Flammeninferno gab es kein Entrinnen. Die Panzer wurden zu glühenden Todesöfen. Hunderte, Tausende Soldaten verbrannten zu Kohle und Asche.
Wie mit dem Skalpell wurden manche Panzer-Schießtürme von den NATO -Raketen abgetrennt. Halb versunken finden wir sie viele Meter entfernt im Wüstensand. Einen Kampfpanzer hat es auf den Kopf gestellt. Manche Schützenpanzer sind zu bizarren Eisenhaufen zusammengesackt. Kein Fahrzeug entkam den Flammen.
Für einen Augenblick stelle ich mir das Fegefeuer dieser Minuten vor. Die brennenden, explodierenden Panzer, Lkws und Jeeps. Die vor Panik und Schmerzen schreienden, verzweifelten, nach Fluchtwegen aus der Hölle suchenden Soldaten. Die rauschartig begeisterten Piloten, die eine Angriffswelle nach der anderen flogen. Die hingerissen feststellten, wie unwiderstehlich ihre Todesmaschinen Gaddafis Armee zerlegten und in Flammen aufgehen ließen. Wie schwarz-orangene Explosionswolken von dämonischer Schönheit in den Himmel stiegen.
Die französischen Soldaten haben aus dieser Begeisterung nie einen Hehl gemacht. Bis heute schwärmen sie auf Flugschauen, den Basaren des Todes, von der Perfektion ihrer feuerspeienden Todesvögel. Kann es für richtige Männer etwas Schöneres geben, als aus sicheren Pilotenkanzeln eine feindliche Panzerarmee in die ewige Verdammnis zu schicken?, fragen sie stolz. Kein einziger NATO -Soldat sei verletzt worden.
Schade, dass dieser orgiastische Kampf nur 15 Minuten dauerte, denken sie. Außerdem ist dieser ewige Kampf des Guten gegen das Böse immer wieder ein Milliardengeschäft, stellen die Rüstungsfirmen zufrieden fest.
Was soll man darauf erwidern, wenn der Feind Muammar Al-Gaddafi heißt? Dass es andere Wege geben muss, als immer nur zu töten? Dass Gewalt ein Bumerang ist, der irgendwann zurückkommt?
Unser bis an die Zähne bewaffneter Fahrer und Bodyguard berichtet, dass viele der ausgebrannten Panzerwracks inzwischen zersägt und abtransportiert worden seien. Von ägyptischen Schrotthändlern, die hier das Geschäft ihres Lebens witterten. Ohne Rücksicht darauf, dass ein Großteil der Panzer uranverseucht sei.
Krieg ist wirklich ein grandioses Geschäft. Ein Perpetuum mobile. Nun kann der Westen den Libyern wieder Panzer verkaufen, die er eines Tages erneut zerstören kann. Vielleicht mit Drohnen, die man dann anstelle der bemannten Kampfflugzeuge kaufen
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