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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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könnte.
    Die Gefangenen von Bengasi
    Am nächsten Tag besuchen wir in Bengasi gefangene Gaddafi-Soldaten. Sie wurden im Raum Brega/Adschdabiya festgenommen. Sie sind im ehemaligen Jugendgefängnis Bengasis untergebracht. Der Vorsteher des Gefängnisses ist ein eleganter Offizier mit kurz gestutztem Bart, weißen Haaren und tiefbraunen Augen. Er hat charismatische Ausstrahlung. Zumindest auf Julia.
    Er führt uns in einen großen, kahlen Raum. Zwei dunkelhäutige Gefangene werden hereingeführt. Sie sind Mitte fünfzig. Einer trägt ein langes, weißes Gewand, die Galabiya, der andere eine dunkle Hose und ein dunkles Hemd. Sie fühlen sich in dem großen Zimmer unsicher und bleiben in der Nähe des Eingangs stehen. Ihre Blicke sind gesenkt. Sie wirken verletzlich, ohne Selbstbewusstsein.
    Ich gehe auf sie zu und lege dem dunkel gekleideten Gefangenen die Hand auf die Schulter. Ich will ihm zeigen, dass er von mir nichts Böses zu erwarten hat. Er ist seit 32 Jahren in der Armee. Er habe Libyen immer gedient, in guten und in schlechten Zeiten, sagt er. Soldaten könnten sich ihre Führung nicht aussuchen. Er wisse nicht, was er falsch gemacht habe.
    Sein Kollege in der weißen Galabiya hat große Pflaster an Brust und Schulter. Durch das dünne Gewand kann man sie gut erkennen. Ich frage ihn, ob er gefoltert wurde. Er schüttelt den Kopf. Mit leeren Augen schaut er an mir vorbei. Ich versuche, die beiden aufzulockern. Doch es gelingt mir nicht. Sie sind verloren und hilflos. Bis gestern waren sie tapfere Soldaten, die ihre Pflicht erfüllten. Jetzt gelten sie als Mitglieder einer Verbrecherarmee. Das verstehen sie nicht. Ich bringe sie zum Ausgang. Als ich sie mit Handschlag verabschiede, huscht erstmals ein Lächeln über ihr Gesicht.
    Dann wird ein Offizier Gaddafis hereingebracht. Er soll Mitte März bei Brega gekämpft haben. Er ist ebenfalls etwa 50 Jahre alt. Er trägt einen Trainingsanzug. Sein linker Arm ist eingegipst. »Folter?«, frage ich. »Ja«, antwortet er. Man habe ihm nach der Festnahme mit einem Stock den Arm gebrochen. Erst hier in Bengasi sei er nicht mehr geschlagen worden.
    Er stehe zu Gaddafi. Er habe sich vor vielen Jahren freiwillig gemeldet und würde es heute wieder tun. Er habe nichts Unrechtes getan, als er sich damals für die Armee seines Landes entschieden habe. Immer wieder habe er sein Leben für die Menschen Libyens eingesetzt. Eher müssten sich die Rebellen fragen, warum sie mit Gewalt gegen ihre eigene Armee vorgingen.
    Ich erzähle ihm, dass mein Freund Abdul Latif Mitte März von Gaddafi-Einheiten getötet worden sei. Dass auch wir stundenlang bombardiert wurden. Er nickt. Das sei bedauerlich. Aber die Armee habe diesen Krieg nicht begonnen. Ich frage, wo er in jenen Märztagen gekämpft habe. Er schaut mir lange in die Augen. Dann sagt er: »In Brega und Adschdabiya.«
    Er ist ein tapferer Mann. Selbst als Gefangener. Er redet niemandem nach dem Mund. Auch ihn bringe ich nach draußen. Im Hinausgehen fragt er Julia noch schnell, ob sie eine Zigarette habe. Er bekommt sie.
    Der nächste Gefangene, der hereingeführt wird, ist gesprächiger. Er ist angeblich auf Umwegen mit Gaddafi verwandt. Er behauptet, er habe sich aus Gründen der Menschlichkeit von diesem abgewandt und den Rebellen ergeben. Er habe den Auftrag gehabt, einen Anschlag auf den Flughafen durchzuführen. Doch das habe er nicht übers Herz gebracht. Was ich wissen wolle, fragt er. Er könne mir wahrscheinlich alles bestätigen. Als Insider wisse er alles. Gaddafi habe uns beschießen lassen, um unseren Tod der NATO unterzuschieben.
    Das ist so eindeutig gelogen, dass ich das Gespräch abbreche. Die NATO -Intervention fand erst fünf Tage nach unserer Beschießung statt. Doch er will nicht aufhören. Er wisse noch viel mehr, sagt er. Doch mein Interesse an dem gesprächigen Überläufer ist erloschen. Er ist der Einzige, den ich nicht zur Tür begleite. Er würde seine Großmutter verraten, um die Dauer seiner Gefangenschaft zu verkürzen.
    Ich frage den Gefängnisoffizier, ob wir die Zellen der Gefangenen sehen könnten. Er nickt. Die erste Zelle wird geöffnet. Zehn Gefangene sitzen und liegen auf etwa 20 Quadratmetern. Die Toiletten und Duschen sind getrennt und sauber.
    Ich bitte Julia, aus dem Auto unser Baklawa-Blätterteiggebäck zu holen. Wir wollten es heute Abend selbst verzehren. Es ist eine berühmte Spezialität Bengasis. Julia sprintet los. Als sie zurück ist, gehe ich mit dem Gebäck in die Zelle

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