Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
sich die kleinen Zimmer in brütend heiße Bienenwaben verwandelt. Mehrfach ziehen wir um, bis wir endlich zwei funktionierende Klimaanlagen finden. Glücklich fallen wir in unsere Betten. Doch dann fällt der Strom aus. Die Zimmer werden wieder zur Sauna. Die erste Nacht im befreiten Tripolis hatten wir uns ganz anders vorgestellt.
Die Plünderer von Bab Al-Aziziya
Am nächsten Morgen fahren wir mit Adnan zu Gaddafis Residenz in Bab Al-Aziziya. Die skelettartigen Reste des einstigen Machtzentrums sind von den Rebellen bunt bemalt und mit Fahnen und Plakaten der Revolution geschmückt worden. Auf den durchschossenen Balkonen und in den riesigen Löchern, die Granaten in die Fassade gerissen haben, stehen wild aussehende Gestalten. Für ein Erinnerungsfoto ballern sie wie verrückt in die Gegend. Vor fünf Monaten stand Gaddafis Tochter Aischa noch auf einem dieser Balkone. Zehntausende jubelten ihr begeistert zu.
In der von beißendem Qualm durchzogenen Eingangshalle aus Marmor stehen und hängen, kunstvoll in Szene gesetzt, amerikanische Raketen und Marschflugkörper. Die USA haben sie im Lauf der Jahrzehnte auf Gaddafis Amtssitz abgeschossen. Wenn sie ihn nicht gerade umwarben. Jetzt haben Kinder, die aufgeregt durch die Ruinen streunen, Graffiti daraufgemalt.
Über einen kleinen Hügel schlendern wir zur Privatvilla Gaddafis. Sie wird gerade von Plünderern geräumt. Vornehm gekleidete Geschäftsleute, Frauen, Kinder, Jugendliche – jeder nimmt sich, was ihm gefällt. Zwei Männer versuchen, mit letzter Kraft einen schweren Backofen über den Hügel zu schleifen. Nach 50 Metern geben sie schwitzend auf. Morgen werden sie mit einigen starken Freunden wiederkommen. Ein dunkelhäutiger Libyer war erfolgreicher. Stolz zeigt er seine Beute. Eine gusseiserne Gugelhupf-Backform.
In Gaddafis Wohnzimmer ist es stockfinster. Hier gibt es keine Fenster. Da der Brand noch schwelt, ist es brütend heiß. Weiße Sofas bilden einen Kreis. Hier wurde debattiert. Oder Gaddafis Monologen zugehört. Nach Luft schnappend lasse ich mich auf einen der Sessel fallen. Überall liegen Bücher herum. Ich öffne eines: Die Außenpolitik Indiens . Es ist Saif, dem Sohn Gaddafis, gewidmet. Und offenbar sogar gelesen worden. Am Rand befinden sich handschriftliche Notizen.
Neben der Eingangstür führt ein Schacht in einen Fluchttunnel. Er soll vier Kilometer lang sein.
Direkt daneben liegt das Haus Aischas. Ihr rosarotes Himmelbett ist unter der Last der Plünderer zusammengebrochen. Überall liegen Kleider und Papiere herum. Versengt oder zerrissen. Was noch brauchbar ist, wird von den wühlenden, stöbernden Plünderern mitgenommen. Der große Flachbildfernseher wurde nicht gestohlen, sondern zertrümmert. Vandalismus scheint genauso viel Spaß zu machen wie Plündern.
Einige Männer zerreißen genussvoll eine Sammlung privater Fotos Gaddafis. Die Überbleibsel werfen sie in die immer wieder auflodernden Flammen. Auch Julia bekommt einen Stapel Bilder. Sie soll beim Zerreißen helfen. Doch sie steckt die Fotos in ihre Tasche. »Ist das Plündern, wenn ich sie vor dem Zerreißen bewahre?«, fragt sie. Sie beschließt, sie der Familie Gaddafis zurückzugeben, wenn es uns irgendwann gelingt, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Die Bilder zeigen Gaddafi im Kreis seiner Familie, umgeben von Freunden. Der Despot wirkt gelöst und sympathisch. Auch Tyrannen haben liebenswerte Seiten. Leider nur selten gegenüber ihrem Volk und nie gegenüber ihren Feinden.
Trotz des rosaroten Himmelbetts ist Aischas Wohnung, wie das Haus Muammar Gaddafis, nicht luxuriös. Die Wohnungen der europäischen Oberklasse sind sicher eleganter. Vor der ausgeraubten Villa des Diktators setzt sich ein etwa 50-jähriger Geschäftsmann in Anzug und Krawatte neben mich. Unter jedem Arm trägt er ein erbeutetes Samtkissen. In perfektem Englisch mit amerikanischem Akzent schimpft er auf die Mittelmäßigkeit der Villa Gaddafis. Nicht einmal von Luxus habe Gaddafi etwas verstanden. Verächtlich schimpfend zieht er mit seinen geklauten Kissen ab.
Vor den Ruinen des einstigen Machtzentrums haben sich mittlerweile Hunderte von Rebellen versammelt. Mit schwerer Artillerie. Aus allen Rohren schießen sie in die Luft. Und fotografieren sich dabei gegenseitig. Noch ihre Enkel werden bewundernd vor den Fotos dieser »Revolutionshelden« stehen.
Am Ausgang sind einige der Rebellen damit beschäftigt, einen gepanzerten Luxus- BMW zu zertrümmern. Das scheint harte Arbeit zu sein. Doch
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