Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
sie geben nicht auf. Pausenlos hämmern die Kugeln ihrer Kalaschnikows gegen die Türen und Scheiben des einstigen Prachtgefährts.
Draußen wartet Adnan mit seinem im Dienste der Revolution verbeulten Jaguar. Doch so, wie ich aussehe, will er mich nicht mitnehmen. Meine Hose und mein Hemd sind pechschwarz vom Ruß des Sessels in Gaddafis Wohnzimmer. Und der geht trotz heftigen Bürstens nicht völlig ab. Erst nachdem wir eine große Plastikplane gefunden haben, in die ich gehüllt werde, darf ich in Adnans alte Limousine einsteigen.
Gaddafis Luxus-Jet
Vom Palast aus wollen wir zum Flughafen. Dort stehen angeblich die Privatmaschinen Gaddafis. Doch Adnan will da nicht hin. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Wegen Scharfschützen, marodierender Rebellen, Sprengstoffanschlägen usw. In Wahrheit hat er kein Benzin mehr für die lange Strecke. Der Benzinpreis hat sich in den letzten Wochen verfünffacht.
Adnan bietet uns daher eine Zweitbesichtigung Bab Al-Aziziyas an. Da gebe es noch viel zu sehen. Er ist total pleite. Doch wie soll er das seinen Gästen sagen? Julia, ganz Frau, durchschaut seine verzweifelte finanzielle Lage sofort. Sie holt unsere letzte Tüte libyscher Geldnoten hervor. Und plötzlich gibt es keine Scharfschützen mehr, die uns aufhalten könnten. Doch jetzt sind wir pleite.
Das Flughafengebiet von Tripolis steht unter der Kontrolle der Rebellen von Sintan. Die wollen mit den Kämpfern von Tripolis nichts zu tun haben. Adnan wird mehrfach angehalten und schroff behandelt. Erst als er glaubhaft darlegen kann, dass er nicht aus Tripolis stammt, werden die Rebellen aus Sintan etwas freundlicher. Betreten dürfen wir den Flughafen trotzdem nicht.
Julia hat wieder einmal die richtige Idee. Sie holt ihre Kamera heraus und zeigt den Flughafenrebellen unsere Fotos mit Revolutionsführer Abd Al-Dschalil. Das wirkt. Von nun an werden wir wie Staatsgäste durch den menschenleeren Flughafen geführt.
Auf dem Rollfeld steht das letzte unversehrte Symbol von Gaddafis einst unumschränkter Macht: Seine noch immer sehr gepflegte, für 100 Millionen Euro gebraucht erworbene Privatmaschine. Gebaut von Airbus, eingerichtet angeblich von der deutschen Lufthansa. Alles ist elegant in hellem Silbergrau und dunklem Rot gehalten. In Gaddafis Bad stehen noch sein Gillette-Rasierwasser und seine schwarzen Hausschuhe. Schwere Ledersessel und ein lackierter Edelholztisch prägen den abgedunkelten Besprechungsraum. Hier entstanden Gaddafis gefürchtete Reden.
Die Piloten sind nach wie vor schick gekleidet. Sie warten darauf, dass irgendein neuer Revolutionsführer sie bittet, durch die Lüfte geflogen zu werden. Doch Abd Al-Dschalil weigert sich, die Diktatorenmaschine zu benutzen. Egal, ob die NATO es erlaubt oder nicht.
Als der Kapitän erfährt, dass ich früher Privatflugzeuge und manchmal auch US -Jets geflogen habe, blitzen seine Augen. Am liebsten würde er jetzt eine Ehrenrunde mit Julia und mir fliegen, um seine Maschine vorzuführen. Wenn da nicht das Flugverbot wäre. So wartet er mit seiner Mannschaft weiter. Jeden Morgen macht er sich und das Flugzeug startklar.
Der Kapitän scheint mich ins Herz geschlossen zu haben. Mit einer kleinen Zange holt er aus der Tür von Gaddafis Toilette eine Kalaschnikow-Kugel. Ein Rebell hatte an dem edlen Klo seine Wut ausgelassen. Vielleicht hatte er es mit seinem Plumpsklo in Sintan verglichen.
Würde er auch heute noch mit Gaddafi tauschen, der sich wahrscheinlich irgendwo in der Wüste durchschlagen muss? Woher kommt die Faszination schrankenloser Macht, die die Diktatoren unserer Welt so magisch anzieht? Obwohl sie wissen, wie elend die meisten enden. Diktator sein heißt russisches Roulette zu spielen. Aber nicht mit einer, sondern mit fünf Kugeln im Revolver.
Die Wüsten-Nonne
Wir fahren ins Zentralkrankenhaus. Es erinnert an eine italienische Kolonialresidenz. Der Empfangsschalter ist aus edlem Alabaster, der Treppenaufgang aus Marmor.
Das Krankenhaus wurde bis zuletzt von Gaddafis Adoptivtochter Hana geführt, die angeblich 1986 bei einem US -Angriff getötet worden war. Lionel Ritchie hatte damals für die medienwirksam verstorbene und heimlich wiederauferstandene Hana in Bab Al-Aziziya ein ergreifendes Gedenkkonzert gegeben. Im ersten Obergeschoss des Krankenhauses hatte sie anschließend jahrelang ihr stilvolles Büro.
Auf den Gängen kommen uns libysche Pfadfinder entgegen. Sie leisten Freiwilligendienst. Sie säubern das Krankenhaus und helfen, wo immer
Weitere Kostenlose Bücher