Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Gefangene Aimans. Hier kann man nicht trampen.
Gegen 2 Uhr nachmittags geht es endlich los. Wir fahren wieder durch eine atemberaubend schöne Felslandschaft. Dazwischen sehen wir mehrfach ausgebrannte Panzer, die Visitenkarte der NATO . Hoch mit Hausrat beladene Autos kommen uns entgegen. Sind es Anhänger Gaddafis, die aus Tripolis fliehen, oder Familien, die nach dem Vormarsch der Rebellen in ihre Dörfer zurückkehren?
Endlich Tripolis
Wir nähern uns Tripolis. Das moderne Stadtzentrum mit seiner einzigartigen Meeres-Skyline scheint weitgehend unversehrt. An einem der wenigen geöffneten Hotels verabschieden wir uns von Aiman. Was er heute Abend vorhabe, fragt ihn Julia. »Nichts«, antwortet er. »Außer dass ich euch vielleicht doch noch umbringe.« Die Revolution hat viel kaputt gemacht. Auch Aiman, den bizarren Rebellen aus Sintan. Julia ist froh, als sein Wagen in der Ferne verschwindet.
Nach dem Schock mit Aiman treffen wir in Tripolis viele hilfsbereite Menschen. Wegen der Revolution werden zurzeit weder Kreditkarten noch Devisen angenommen. Wir sind daher zahlungsunfähig. Ein Freund unseres Bekannten aus Djerba leiht uns 500 Euro in libyscher Währung. Obwohl wir ihm noch nie begegnet sind. Das Darlehen ist sein gesamtes Bargeld. Er vertraut darauf, dass er es irgendwann zurückbekommt. Wer in Deutschland würde einem unbekannten Libyer 500 Euro leihen?
Als uns abends der Hunger auf die Straße treibt, sehen wir vor dem Hotel einen alten Jaguar. Sein 20-jähriger Fahrer heißt Adnan. Sein Onkel hat ihm das Auto geliehen, damit er Fremde herumfahren kann. Wir fragen, ob er uns zu einem Hotel bringen kann, im dem es etwas zu essen gibt. In unserem gerade erst wiedereröffneten Hotel ist nicht einmal Kaffee vorhanden.
Adnan nickt glücklich. Er will durch seine Hilfe für Fremde Teil der Revolution werden. Leider ist er kein guter Autofahrer. Schon nach 20 Metern fährt er eine Schranke um und verbeult das Auto seines Onkels. Dennoch bringt er uns stolz zum Corinthia-Hotel. Dort soll es zu essen geben. Die Restaurants von Tripolis sind alle noch geschlossen.
Im Corinthia-Hotel stürzen wir sofort zum Buffet. Doch es ist leer gegessen. Mit einem langen Suppenlöffel fischen wir aus den tiefen Töpfen einige fast schon vertrocknete Makkaroni, ein halb abgegessenes Hühnerbein und drei Fischköpfe. Wasser gibt es gar keines. Es ist 20 Uhr, das Buffet war kurz nach 19 Uhr eröffnet worden. Das spärliche Essen hatte nicht einmal für eine Dreiviertelstunde gereicht.
Die Makkaroni teilen wir uns fair. Fünf bekommt Julia, fünf ich. Das halbe Hühnerbein hat Julia schon am Buffet abgenagt. Die Fischköpfe legen wir zurück.
Am Zahlschalter will der Kassierer pro Mahlzeit vierzig Euro. Ich bekomme einen verzweifelten Lachanfall. Das wären acht Euro pro Makkaroni, rechne ich ihm vor. Jetzt muss auch er lachen. »Revolutionspreise«, sagt er und winkt uns durch. Ich gebe ihm zehn Euro, weil er so nett ist.
Dann verspeisen wir ganz langsam unsere fünf Makkaroni. Am Nachbartisch sitzt amüsiert eine etwa 55-jährige amerikanische US -Journalistin. Mary Colvin trägt eine schwarze Augenklappe. Wie ein weiblicher Pirat. Ihr spannendes Leben wird nur noch fünf Monate dauern. Am 22. Februar 2012 wird sie in Baba Amr, im syrischen Homs, von einer Rakete getötet.
Doch über die Gefährlichkeit unserer Reisen denken wir in diesem Augenblick nicht nach. Auch Mary Colvin nicht, die an unserer Makkaroni-Zählerei viel Spaß hat. Unser stärkstes Gefühl an diesem Abend ist Hunger. Schnell verlassen wir das Hotel. Vielleicht finden wir doch noch ein Restaurant. Auch andere Ausländer scheinen Verpflegungsprobleme zu haben. Am Springbrunnen vor dem Hotel sehen wir einen Journalisten, der ein Dutzend leerer Plastikflaschen mit Wasser füllt.
Auf der Suche nach etwas Essbarem ziehen wir durch die Altstadt. Wir finden einen winzigen Lebensmittelladen. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen, als ich eine große Dose Thunfisch und eine Familienpackung französischen Streichkäses finde. »La vache qui rit« steht groß darauf.
Zehn Minuten später sitzen wir auf dem Steinboden unter den Arkaden und essen Thunfisch mit Streichkäse. Es schmeckt köstlich. Der Ladenbesitzer, dessen verschlossene Eingangstür wir als Rückenlehne nutzen, bringt uns zwei Löffel und Papierservietten. Wir verbringen die bisher genussvollste halbe Stunde unserer Reise. Zufrieden und gesättigt kehren wir in unser Hotel zurück.
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