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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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böses Erwachen geben.
    Baschir Saleh nickt wieder ein. Ich gehe vors Haus. Ich darf jetzt nicht einschlafen! Bald wird es losgehen. Es ist 6 Uhr und längst hell. Ich setze mich auf einen Stein und warte. Ein magerer Hahn jagt seine Hühner über den Hof. Herrisch, fast majestätisch. Doch als ich aufstehe und dem Hahn und seiner Hühnerschar folge, gerät auch der stolze Gockel in Panik. Angstvoll rennt er davon. Von seinem majestätischen Gehabe ist nichts übrig geblieben. Wie im Leben der Menschen.
    Aimans Raserei
    Ich warte und warte. Dazwischen versuche ich, Abdul Latifs Bruder anzurufen. Doch niemand meldet sich. Gegen 11 Uhr taucht Aiman auf. Er wirkt gut ausgeruht. Er sei nach dem Duschen ein wenig eingenickt, meint er. Eigentlich mache es fast keinen Sinn mehr, nach Tripolis zu fahren. In der Mittagssonne werde es viel zu heiß. Außerdem müsse ich ja auch irgendwann schlafen.
    Ich beschließe, ganz ruhig zu bleiben, und erläutere Aiman, dass Julia und ich dann eben trampen würden. So viel Ungeduld kann Aiman überhaupt nicht verstehen. Wir seien doch erst ein paar Tage unterwegs. Dann lädt er mich ein, mit ihm zur Tankstelle zu fahren. Dort hat er eine Tankration von ein paar hundert Litern Benzin gelagert, an die er aufgrund guter Beziehungen zur Revolutionsführung gelangt ist. Einen Teil davon will er jetzt abholen.
    In seinem Jeep rast er mit so hoher Geschwindigkeit durch die engen Straßen und Gassen Sintans, dass ich mich schnell anschnalle. Ob ich Angst habe, fragt er mich. Als ich das verneine, lächelt er und fährt noch schneller. Ich habe nicht gewusst, dass man auf derart schmalen Straßen über 120 Stundenkilometer fahren kann. Aiman kann das. Er überquert Kreuzungen und rast durch Kurven, ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Zweimal kommt uns ein Wagen entgegen. Aiman weicht, meterhohe Staubwolken aufwirbelnd, auf den unbefestigten Straßenrand aus, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln.
    Sollte uns auf einer der vielen Kreuzungen ein Auto in die Quere kommen, ist alles vorbei. Meinen Kindern habe ich stets eingetrichtert, in solchen Situationen sofort auszusteigen. Aber Sintan ist eine der wildesten Rebellenhochburgen des Landes. Weder Gaddafi noch die Führung der Rebellen haben die Stadt jemals richtig unter Kontrolle gebracht. Ich kann hier nicht einfach aus dem Auto springen und zu Fuß weitergehen. Wohin auch? So brülle ich, Aiman solle endlich normal fahren. Doch wie von einer Tarantel gestochen jagt er weiter kreuz und quer durch Sintan. Eine Höllenfahrt.
    Schließlich hält er an einer Tankstelle an. Wo seine Tankration sei, schreit er den Tankwart an. Als der zu stottern anfängt, stürzt er mit seiner Kalaschnikow ins Büro der Tankstelle: »Wohin habt ihr Diebe mein Benzin verkauft?« Er dreht völlig durch und bedroht den Kassierer mit dem Tod. Dann rast er bleich und Verwünschungen ausstoßend zur nächsten Tankstelle.
    Auch dort weiß man nicht, wo sein Benzin ist. So rast Aiman völlig außer sich, wilde Drohungen ausstoßend, von Tankstelle zu Tankstelle. Da er nirgendwo Erfolg hat, versucht er, die Eigentümer zu Hause zu erreichen. Er trommelt gegen Eisentore, schießt in die Luft und bedroht jeden Herumstehenden, der ihm nicht sagen kann, was aus seinem Benzin geworden ist.
    Schließlich prescht er in den Hof eines der Rebellenchefs von Sintan. Auch ihn faucht er an, doch der bleibt ganz ruhig. Er lässt sich von seinem Sohn die Maschinenpistole geben, schiebt das Magazin ein und hält den Lauf der Kalaschnikow direkt auf Aiman. »Irhal – verschwinde!«, sagt er. Plötzlich wird Aiman ganz still. Es ist, als hätte jemand mit einer Nadel in einen aufgeblasenen Luftballon gestochen. Aiman sinkt förmlich in sich zusammen. Dann dreht er sich um und geht vom Hof.
    Ohne ein Wort zu sagen, fährt er zu einem kleinen Marktplatz. Dort stehen Dutzende Schwarzhändler mit bunten Benzinkanistern. Aiman bezahlt ein kleines Vermögen, damit sie seinen Tank füllen. Er ahnt, dass er gerade sein eigenes Benzin kauft. Dann fährt er zurück nach Hause. Immer noch schnell, aber nicht mehr so unkontrolliert wie zuvor.
    Mit quietschenden Reifen biegt er in den Hof seines Hauses ein. Dort wartet Julia bereits auf ihren gepackten Koffern. Sie hat gut geschlafen. Erst durch einen Kinderfuß im Gesicht ist sie aufgewacht. Ich berichte ihr kurz von der zweistündigen Irrsinnsfahrt durch Sintan. Jetzt würde auch sie am liebsten per Anhalter weiterfahren. Doch wir sind letztlich

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