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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Gaddafis Soldaten bei Gefechten mit den Rebellen Geländegewinne erzielten, kämen die NATO -Flugzeuge und bombten sie weg. Wie ein mitboxender Ringrichter.
    Niemand im Westen protestiere, wenn die NATO betende Muslime bombardiere oder Kinder töte. Hunderte Zivilisten, Frauen und Kinder habe die NATO auf dem Gewissen. Trotz konkreter Hinweise von Amnesty International, Human Rights Watch und der New York Times lehne das westliche Militärbündnis eine genaue Untersuchung von Bombenmassakern stets ab. Auch Entschädigungen habe es nie gezahlt. Wenn westliche Politiker über Menschenrechte sprächen, halte er sich inzwischen die Ohren zu.
    Gaddafis Brutalitäten, wie die Ermordung von 1200 Gefangenen im Gefängnis Abu Salim, verurteile er ebenfalls. Aber sie lägen schon über ein Jahrzehnt zurück. Außerdem hätten sich westliche Politiker noch nie für die Einhaltung der Menschenrechte in Libyen interessiert. Er habe mit zahllosen Politikern des Westens verhandelt. Das Thema Demokratie und Menschenrechte hätten sie nicht ein einziges Mal angesprochen.
    Gaddafi habe viele Fehler gemacht. So habe er versucht, seine Söhne als Nachfolger einzusetzen. Dafür gebe es keinerlei Legitimation. Außerdem sei er selbstverliebt und unfähig zu Kompromissen. All das zusammen habe zu seinem Sturz geführt.
    Die Friedenslösung, die er, Baschir Saleh, mit der Arabischen Liga und dem Westen ausgehandelt habe, sei für Gaddafi außergewöhnlich günstig gewesen. Er hätte weiter in seinem Palast leben dürfen und wäre von jeder Strafverfolgung freigestellt worden. National und international. Er hätte lediglich seine Machtbefugnisse abtreten müssen.
    Sarkozy, Cameron und Obama hätten der Vereinbarung schon Anfang Juli zugestimmt. Sarkozy habe ihn kurz danach angerufen und um Beschleunigung des Verfahrens gebeten. Er wollte den Friedensschluss möglichst schon am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, verkünden. Aber Gaddafi habe Bedenkzeit gefordert. Mitte August habe er, Baschir Saleh, zum Emir von Katar reisen wollen, um dessen endgültiges Einverständnis einzuholen. Er habe Gaddafi deshalb noch einmal angerufen. Dieser habe ihm jedoch überraschend mitgeteilt, er habe beschlossen weiterzukämpfen. Er werde nie kapitulieren. Wenige Tage später sei Tripolis gefallen.
    Er verstehe bis heute nicht, wie Gaddafi ein solches Angebot ausschlagen konnte. Einem derart unbelehrbaren Regierungschef könne er nicht als Berater dienen. Deshalb sei er gegangen.
    Während des nächtlichen Gesprächs nickt Baschir Saleh mehrfach ein. Doch ich bekomme ihn stets wieder wach. Entweder huste ich laut, oder ich klopfe gegen den Teekessel. Wann kann man in diesen Zeiten schon eine Nacht mit dem Chefunterhändler Gaddafis verbringen?
    Im Morgengrauen, kurz nach 5 Uhr, bringt uns der zehnjährige Neffe Aimans ein kleines Frühstück, das »Suhur«. Da ich um diese Uhrzeit noch nichts herunterbekomme, kann sich der Junge ganz auf Baschir Saleh konzentrieren. Kniend wäscht er ihm Hände und Füße und trocknet sie sorgsam ab. Dann schenkt er ihm die erste Tasse Tee ein. Alles geschieht voller Respekt, fast andächtig. Obwohl die Kinder wissen, dass ihr Gast nicht nur Flüchtling, sondern letztlich auch Gefangener ist.
    Nach dem Frühstück nutze ich Baschir Salehs neu erwachte Lebensgeister, um mit ihm über Revolutionen zu sprechen. Über den tiefen Fall der Mächtigen und die plötzliche Macht der Ohnmächtigen. Über ihre Enttäuschung, wenn sie nach ein, zwei Jahren feststellten, dass es nur einigen Revolutionsgewinnlern besser geht, während sie wieder so ohnmächtig sind wie zuvor.
    Ich erzähle von der Französischen Revolution, in der viele jakobinische Revolutionäre schnell reich geworden seien. Nach kurzer Zeit hätten sie Kutschen, Schlösser und große Ländereien besessen. Viele Jakobiner hätten sich außerdem in den Adelsstand erheben lassen. Einer habe es sogar zum Prinzen geschafft. 104
    Baschir Saleh glaubt, dass auch in Libyen nur die Spitze ausgewechselt werde. Die Strukturen des Landes würden wie bei den meisten Revolutionen lange Zeit nicht verändert.
    Die wichtigste Veränderung müsse ohnehin in den Köpfen der Menschen stattfinden. Jeder Einzelne müsse mehr Fleiß, mehr Eigeninitiative, mehr Dynamik entwickeln. Erst dann werde sich in den arabischen Ländern etwas ändern. Aber darüber werde nicht einmal nachgedacht. Jeder erwarte das Heil vom Sturz der Führung. Deshalb werde es in der arabischen Welt ein

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