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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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die afghanischen Taliban oft mit grausamen Methoden an. Erst vor einer Woche seien zehn seiner Männer von ihnen betäubt und anschließend mit Bajonetten getötet worden.
    Neben den afghanischen, den pakistanischen und den von den Amerikanern gekauften Taliban gebe es in Afghanistan noch etwa 100 ausländische Kämpfer, Araber und Tschetschenen, die sich zu Al-Qaida bekennen würden. Ihre Bedeutung im afghanischen Widerstand sei nicht groß. Sie seien nur »Fußsoldaten«. Doch sie seien finanziell gut ausgestattet.
    Ich wende ein, dass seine Geschichte der »von den USA gekauften Taliban« stark nach Verschwörungstheorie klinge. Doch ich weiß, dass Besatzer aller Zeiten derartige Methoden angewandt haben, um den nationalen Widerstand zu schwächen. Die Franzosen in Algerien, die Portugiesen in Angola, die Amerikaner in Vietnam, in Nicaragua, in El Salvador und in anderen Ländern.
    Mullah Nasrat schüttelt gelassen den Kopf. Die Beurteilung seiner Darstellung überlasse er mir. Man müsse eigentlich nur fragen, wem bestimmte Aktionen nützten. Dann finde man irgendwann die richtige Lösung.
    Ich frage ihn, wie er Selbstmordanschläge mit dem Koran vereinbaren könne. Der Koran verbiete ausdrücklich den Selbstmord und die Tötung Unschuldiger. Mullah Nasrat antwortet wieder sehr bedacht. Die meisten, aber nicht alle Selbstmordanschläge würden von den pakistanischen Taliban durchgeführt. Für ihn seien sie ein großes Problem, da sie unerträglich viele zivile Opfer forderten.
    Die afghanischen Mudschaheddin, für die er spreche, akzeptierten Selbstmordanschläge nur unter strengen Bedingungen: Sie dürften sich nur gegen die US -Streitkräfte richten. Dabei müssten zivile Opfer vermieden werden. Als er spürt, dass ich auch das inakzeptabel finde, fragt er mich, mit welchen Waffen seine Leute denn gegen modernste Bomber, Raketen und Panzer kämpfen sollten. Mit ihren alten Kalaschnikows?
    Die einzige wirksame Waffe, die seine zahlenmäßig und waffentechnisch unterlegenen Kämpfer hätten, sei ihr Leben. Nur durch den Einsatz ihres Lebens könnten sie gegenüber der Weltmacht USA ein annäherndes Gleichgewicht der Kräfte erreichen und irgendwann ihr Land befreien.
    Es sei leicht, Selbstmordanschläge zu verurteilen, wenn man Piloten habe, die in 1000 Meter Höhe ohne Gefahr für das eigene Leben auf einen Knopf drücken könnten, um ihre tödlichen Waffen abzuschießen. Sei diese risikolose Form des Tötens nicht viel unmenschlicher? Auch beim Bombardieren militärischer Ziele würden fast immer Zivilisten getötet – vom Bombardieren afghanischer Hochzeiten und Trauerfeiern ganz zu schweigen.
    Mullah Nasrat sieht, dass wir auch in dieser Frage keine Übereinstimmung erzielen werden. Ich werde Selbstmordattentate immer ablehnen. Aber haben westliche Politiker recht, wenn sie junge Selbstmordattentäter »feige« nennen? Ist es nicht viel feiger, wie westliche Schreibtischpolitiker andere für seine Ideale sterben zu lassen?
    Während der letzten Minuten unseres Gesprächs ist Mullah Nasrat zunehmend unruhig geworden. Noch häufiger als zuvor geht sein Blick zu dem vermummten Talib an der offenen Tür, der auch nervöser geworden ist. Deutlich hörbar hat er seine Waffe entsichert.
    Mullah Nasrats Anwesenheit scheint sich nicht nur im Dorf, sondern auch darüber hinaus herumgesprochen zu haben. Der vermummte Talib im Türrahmen ruft Mullah Nasrat mehrfach etwas zu, bis dieser aufspringt. Er schüttelt mir beide Hände. Er müsse los, sagt er. Seine Stimme klingt belegt. So plötzlich, wie er gekommen ist, entschwindet er durch die Tür.
    Ich will mich setzen, aber mein sonst so freundlicher paschtunischer Wegbereiter mahnt unruhig zum Aufbruch. Wir müssten schnell aus dem Dorf raus. Vor Einbruch der Dunkelheit müssten wir in Dschalalabad sein. Auch er ist auf einmal angespannt.
    Wenige Minuten später rumpelt unser Geländewagen wieder über Felder und Bachbetten. Unser Fahrer fährt noch schneller als sonst. Immer wieder werden wir von den Sitzen hochgeworfen oder gegen die Tür gepresst. Als ich ihn frage, warum er so rase, antwortet er, in ein paar Minuten kämen wir vielleicht nicht mehr raus.
    Wie wir am Abend erfahren, explodiert eine halbe Stunde nach unserer Durchfahrt auf dem Feldweg eine Sprengfalle. Zwei Mitglieder einer afghanischen Hilfsorganisation werden getötet, drei verletzt. Wer den Weg, der am Tag nur ein Dutzend Mal befahren wird, vermint hat, werde ich nie erfahren. Sprengfallen

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