Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
angepflanzt.
Während er auf dem Feld arbeitet, räumt Spoghmai das Haus auf. Sie fegt den Hof, wäscht die Kleider ihrer Geschwister und bereitet das Mittagessen vor. Meist gibt es Kartoffeln und rote Bohnen, Fleisch nur selten. Den Brotteig bereitet Spoghmai selbst zu. Eine Nachbarin backt dann das Brot.
Manchmal trifft sie sich auch mit Freundinnen, um für eine kurze Stunde Kind zu sein. Sie spielen dann Verstecken oder ein Geschicklichkeitsspiel mit kleinen Steinen. Sie träumt häufig von ihrer Mutter. Im Traum bittet die Mutter sie, sich weiter um ihre Brüder zu kümmern. Und sie lächelt jenes Lächeln, das Spoghmai so liebte und das sie so vermisst.
Ich frage Spoghmai, was sie George W. Bush sagen würde, wenn sie ihn treffen könnte. Sie antwortet fast unhörbar: »Wenn ich den ›König von Amerika‹ treffen könnte, würde ich ihn fragen: ›Was haben wir dir getan?‹.«
Esmatullah spielt einmal in der Woche Volleyball. Einen Fußballplatz gibt es in Landa Kheil nicht mehr. Wo Esmatullah früher mit Begeisterung und blutigen Zehen Fußball spielte, steht jetzt ein Militärcamp.
Nach zwei Stunden, die mir heute wie Tage vorkommen, verabschieden wir uns. Länger zu bleiben wäre gefährlich. Es ist früher Nachmittag. Verfolgt von einer Schar johlender Kinder und den forschenden Blicken bärtiger Männer, fahren wir los, zurück nach Dschalalabad.
Das Treffen mit den Taliban
Auf der holprigen Fahrt gebe ich unserem freundlichen paschtunischen Wegbegleiter ein Foto aus den 80er-Jahren. Es zeigt mich zusammen mit dem alten rotbärtigen Mudschaheddin-Führer Maulawi Khales bei der Übergabe von Medikamenten am Khyber-Pass. Khales’ Sohn ist jetzt einer der regionalen Stellvertreter des Taliban-Chefs Mullah Omar.
Unser meist lächelnder Begleiter wird ernst. Prüfend schaut er mir in die Augen und fragt, ob ich – wie mehrfach angedeutet – wirklich mit der Führung der Taliban sprechen möchte. Als ich nicke, führt er auf seinem Handy ein kurzes Telefonat. Dann schweigt er bis Dschalalabad. Im Zentrum der quirligen Stadt steigt er aus und bittet, einen Augenblick zu warten.
Aus dem Augenblick wird eine Stunde. Dann kommt er zurück und nennt dem Fahrer einen Ort südlich von Dschalalabad. Wir fahren los. Mehr als anderthalb Stunden lang geht es rumpelnd über löchrige Asphaltstraßen, zerfurchte Feldwege, ausgetrocknete Bachbetten und schließlich quer durch abgeerntete Felder zu einem ländlichen Dorf.
Wir halten vor einem einfachen Lehmhaus. Unser Begleiter mit dem weiß gestreiften schwarzen Turban bittet meinen Übersetzer und mich, schnell einzutreten. Wir werden in den spartanisch eingerichteten, weiß gekalkten Gästeraum geführt. Dort nehmen wir auf einem schlichten, dunkelroten Teppich Platz.
Nach zehn Minuten taucht, bewaffnet mit einer Kalaschnikow, ein vermummter Talib im Türrahmen auf. Prüfend gleiten seine Augen durch den Raum. Dann gibt er mit seiner Maschinenpistole ein Zeichen Richtung Hof. Sekunden später betritt, unvermummt, ein mittelgroßer Mann mit schmalem Gesicht und kurz geschnittenem schwarzen Bart den Raum. Er ist höchstens 30 Jahre alt.
Er erinnert mich an den legendären Mudschaheddin-Führer Ahmed Schah Massoud. An den »Löwen des Pandschir-Tals«, der zwei Tage vor dem 11. September 2001 von Al-Qaida ermordet wurde. Er trägt ein helles afghanisches Gewand, auf dem Kopf einen Pakol. Der unscheinbare, aber drahtige Mann schaut mich kurz an und setzt sich wie selbstverständlich neben mich. Seine einzige Waffe ist ein altes Nokia-Handy. Immer wieder blickt er zur Tür. Wie Gefahr witterndes Wild.
Seine Vorsicht ist verständlich. Der Mann neben mir ist Mullah Nasrat. Er ist Sprecher der afghanischen Taliban für die Provinzen Nangarhar, Laghman und Kunar. Diese sind in jener Zeit neben der Region Kandahar-Helmand das wichtigste Aufmarschgebiet der Taliban. Aus Kunar stammten die zerstörten Militärfahrzeuge, die wir am Morgen in Kabul gesehen hatten.
Wie wir später erfahren, haben 28 seiner Kämpfer im Dorf Stellung bezogen, um unser Treffen abzusichern. Mullah Nasrat hat noch nie einem Westler ein Interview gegeben. Und auch mit afghanischen oder pakistanischen Journalisten spricht er nur über sein Handy.
Er erklärt, zu diesem Gespräch sei er nur bereit, weil er wisse, dass ich die Mudschaheddin immer unterstützt hätte. Vor allem im Kampf gegen die sowjetische Besatzung. Die oberste Führung der Taliban habe dem Gespräch ausdrücklich
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