Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Regierung hat erst vor wenigen Tagen Ausländern verboten, von Kabul aus über Land zu reisen.
Ausgerechnet über dem mit Mullah Nasrat vereinbarten Treffpunkt schwebt ein Überwachungszeppelin. Mit seinen hochauflösenden Kameras hat er im Umkreis von Kilometern alles unter Kontrolle. Um uns aufzuheitern, erzählt unser Fahrer, einer seiner Freunde sei kürzlich auf die Militärbasis bestellt worden. Man hatte seinen Vater auf den Filmen des Zeppelins entdeckt. Aber nicht beim Bombenbauen, sondern beim fröhlichen Liebesspiel mit seiner Geliebten.
Auch Mullah Nasrats Anfahrt ist schwierig. Kurz vor dem Dorf, in dem wir uns treffen wollen, gerät er an eine amerikanische Militärstreife. Eine lebensgefährliche Situation. Er steht auf der Todesliste der USA . Doch die GI ’s erkennen ihn nicht.
Mullah Nasrat ist angespannt, als er die Lehmhütte betritt, in der wir verabredet sind. Zwölf seiner Kämpfer sichern diesmal den Ort ab. Kaum sitzen wir, überfliegt ein US -Hubschrauber das Dorf im Tiefflug. Irgendetwas stimmt nicht.
Mullah Nasrat blickt zu seinem vermummten Wachmann an der Tür. Doch der signalisiert, alles sei in Ordnung. Mullah Nasrat zögert. Seine Männer sind zu verschiedenen Uhrzeiten aus unterschiedlichen Richtungen ins Dorf gefahren. Selbst wenn die Amerikaner von dem Treffen erfahren haben sollten, können sie nicht wissen, wo genau er sich aufhält. Aber der Zeppelin, die Militärstreife, der Hubschrauber – das sind schon merkwürdig viele Zufälle. Mullah Nasrat geht noch einmal zu seinem Wachmann und erteilt ihm flüsternd Anweisungen. Dann gibt er mir ein Zeichen, schnell mit den Fragen zu beginnen.
Mullah Nasrat glaubt nicht, dass die Amerikaner abziehen werden. Notfalls werde man bis zum Jüngsten Tag weiterkämpfen. Verhandlungen mit den USA hält er persönlich inzwischen für ziemlich sinnlos. Die Amerikaner hätten die Taliban bei allen bisherigen Gesprächen getäuscht. Mit der afghanischen Regierung könne er sich jetzt Verhandlungen vorstellen. Auch eine Regierung der nationalen Aussöhnung sei denkbar – sobald die USA abgezogen seien. Jede neue Regierung werde anders sein als die Taliban-Regierung der späten 90er-Jahre. Auch Mädchenschulen werde es geben. Seine Tochter gehe ja auch zur Schule.
Ich frage ihn, was er von dem Angriff auf das pakistanische Mädchen Malala halte. Die 15-Jährige, die sich auf einem Internetblog der BBC für die Gleichbehandlung von Mädchen einsetzte, war in Pakistan von dortigen Extremisten niedergeschossen worden. Mullah Nasrat antwortet, der Angriff auf wehrlose Mädchen sei immer ein Verbrechen. Die Täter seien Mörder. Sie hätten die Todesstrafe verdient.
Dann fragt er, warum es die mehr als 10000 afghanischen und pakistanischen Mädchen, die durch NATO -Bomben oder amerikanische Drohnen getötet worden seien, nie in die Weltpresse geschafft hätten. Nie habe eine westliche Zeitung diesen Mädchen eine Titelseite gewidmet.
Ich wechsle das Thema und erzähle ihm, dass mir ein NATO -Soldat auf Facebook gewünscht hatte, dass mich afghanische Taliban in die Luft sprengten. Mullah Nasrat lacht: »Der Mann weiß nichts von Afghanistan. Sie sind Zivilist. Sie stehen unter unserem Schutz. Die Amerikaner sind für Sie viel gefährlicher.«
Ob er den über uns schwebenden Zeppelin fürchte, frage ich. »Nein«, lächelt er. »An diese Überwachungsballone haben wir uns gewöhnt. Wir fürchten nur Gott. Die Amerikaner haben Technologie. Wir haben Gott.«
Dann springt er auf. »Das nächste Mal werde ich Sie mit Mullah Omar zusammenbringen. Sobald es Frieden im Land gibt, werden Sie ihn treffen. So wie mich heute.« Er gibt mir die Hand, um die Ernsthaftigkeit seines Versprechens zu unterstreichen. Dann zieht er sein Halstuch vors Gesicht. Seine beiden Leibwächter nehmen ihn in die Mitte. So lautlos, wie er gekommen ist, verschwindet er. Ein Schattenkrieger.
Auf Feldwegen umfahren wir den neugierigen Beobachtungszeppelin. Ich bin sicher, dass seine Befehlszentrale längst weiß, wer wir sind und wen wir trafen. Vielleicht war das für Mullah Nasrat sogar gut.
Dann geht es durch eine trostlose Steinwüste. Ihre Eintönigkeit wird nur gelegentlich von kleinen Baumwollpflanzungen und Lehmhäusern unterbrochen. Eine Nomadenfrau sitzt an einem Bach, der dem Wegeslauf folgt. Mit ihrem bunt bestickten Gewand schenkt sie der sandbraunen Umgebung einen fröhlichen Farbtupfer. Sie wäscht, so wie es afghanische Frauen seit Urzeiten tun. Mit einem
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