Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Stock klopft sie den Schmutz aus der in Seifenlauge getauchten Kleidung. Schlag um Schlag. Wie vor 30 Jahren. Und wie in 30 Jahren.
Das Haus der Hoffnung
Heute ist ein großer Tag. Wir fahren zum »Haus der Hoffnung«, unserem Kinderheim. Wir, das sind Julia, mein Freund Belal, Frédéric und ich sowie die Spiegel -Journalisten Alexander Osang und Thomas Grabka. Alle sind voller Erwartung.
Von der Hauptstadt aus geht es Richtung Bagram. Die Berge des Hindukusch umgeben die Kabuler Hochebene wie eine Märchenkrone. Auf ihren Gipfeln liegt Schnee.
Zu unserer Linken sehen wir moderne Verwaltungs- und Firmengebäude. Hier residieren die wenigen Gewinner dieses Krieges. Auf der rechten Seite versuchen die Verlierer, in ihren niedrigen Lehmhütten irgendwie zu überleben. Die Behausungen sind dunkel und eng. Im Sommer glutheiß, im Winter bitterkalt. Jahrelang haben ihre Bewohner in pakistanischen Flüchtlingslagern dahinvegetiert. In der Hoffnung auf die Rückkehr in eine aufblühende Heimat. Doch diese Träume sind ausgeträumt. Afghanistan ist arm wie eh und je.
Manche von ihnen leben auf Müllhalden vom Abfall der Großstadt. Kleine barfüßige Kinder in zerrissener Kleidung stöbern zusammen mit Ziegen und Fettschwanzschafen nach Nahrung. Oder nach Dingen, die man irgendwie zu Geld machen könnte.
Nach einer halben Stunde Fahrt kommen wir am »Haus der Hoffnung«, »Dar-ul-Omeid«, an. Das Grundstück ist zwei Hektar groß. Ich wollte nicht nur Wohnräume schaffen, sondern auch Spielplätze, einen Gemüsegarten und einen Obstgarten. Am Kopfende des von hohen Mauern geschützten Grundstücks stehen drei wunderschöne, orientalisch anmutende Gebäude. Wie in einem alten Märchen. Links das Mädchenhaus, rechts das Haus für die Jungs und dazwischen das Gemeinschaftsgebäude mit Küche und Essräumen. Sie sollen den Kindern von Kunduz während ihrer Schulausbildung zur Heimat werden.
Als ich langsam auf die Häuser zugehe, bleiben meine Begleiter stehen. Sie wissen, wie sehr ich mich auf diesen Augenblick gefreut habe. Und ich weiß, dass ich gerade einen der glücklichsten Momente meines Lebens erlebe. Alle Sorgen und Enttäuschungen der letzten Jahre sind in diesen Sekunden weit weg.
Ich sehe, wie die kleinen Mädchen in ihren hübschen schwarzen Kleidern hinter dem Haus hervorflitzen und sich wie Orgelpfeifen davor aufstellen. Auch die Jungs in ihrer beigebraunen Tracht rennen nach vorn und nehmen mit leuchtenden Augen Aufstellung. Gemeinsam schmettern sie uns einen Willkommensgruß entgegen.
Ich bleibe stehen, weil ich überwältigt und dankbar bin. Am liebsten würde ich diesen Augenblick für immer festhalten. Dieses schalkhafte Blitzen in den Augen der kleinen Afghaninnen und Afghanen. Die unbändige Lebensfreude dieser Kinder. Es ist eine Minute reinen Glücks.
Hinter meinem Rücken hole ich einen Fußball hervor und schieße ihn an die Hauswand, vor der die Mädchen stehen. Der Ball springt zurück, die Kinder schauen mich ungläubig an. Der grauhaarige Mann, der ihnen dieses Heim gebaut hatte, spielt Fußball? Das glauben sie nicht. Ich ballere ein zweites Mal, diesmal in Richtung der Jungs. Die Kinder schauen mich noch immer verdutzt an. Doch als ich ein drittes Mal schieße und der Ball auf den Bolzplatz zurückprallt, gibt es kein Halten mehr. Die ganze Horde Mädchen und Jungs stürmt hinter dem Ball her.
»Natürlich« können die Mädchen beim nun beginnenden Fußballspiel nicht mitmachen. Sie erhalten von Belal, der wie immer diskret im Hintergrund bleibt, Federballschläger und Federbälle. Doch mit den Jungs beginnt eine wilde Fußballschlacht. Sandalen und Schuhe fliegen durch die Luft. Jeder liegt mindestens einmal im Staub. Auch ich. Die Kleinen kämpfen wie die Löwen.
Meine Mannschaft verliert 1:5. Die Siegermannschaft hat leider zwei Spitzenspieler, Dschamil und Alexander. Meine Mannschaft nicht. Aber die hohe Niederlage meiner Mannschaft steigert die Freude der Jungs noch mehr. Eigentlich haben sie alle gerade ein Länderspiel gegen Deutschland gewonnen.
Währenddessen versuchen die Mädchen, sich mit dem Federballspiel anzufreunden. Doch immer wieder blicken sie neidisch auf die Fußball spielenden Jungs. Ich hatte zwei Fußbälle mitgebracht. Irgendwie findet der zweite Ball seinen Weg zu den Mädchen. Plötzlich werden die Federballschläger zur Seite gelegt. Und nun beginnen die Mädchen eine lustige Mischung aus Fuß- und Handball. Dabei geht es nicht um Tore, der Ball ist das
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