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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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auf dem Plan, den sie zu Hause noch ausgedruckt hat, wo er abfährt, schließlich steigen sie ein, als der richtige da ist, ein junges Mädchen sitzt ihnen gegenüber, dessen Koffer steht neben ihrem, er fällt um, als der Bus anfährt, das Mädchen springt auf, wirft im Aufstehen auch Helenes Koffer um, sie lachen, das Mädchen setzt sich schließlich wieder, möchte etwas sagen, auch Helene möchte, aber sie lassen es, das Mädchen liest, Helene schaut aus dem Fenster, auf Lottchen, das döst, ja, unter grauem Öl das platte Land, man kann es nicht anders sagen, sie fahren eine Weile über die Autobahn, verlassen sie dann, die Koffer haben sie inzwischen vom Stehen zum Liegen befördert, so können sie wenigstens nicht mehr umfallen, und rutschen können sie auch nicht, weil eine Frau mit Kinderwagen da steht, genau vor Helenes liegendem Koffer, der Bus hält, fährt, hält, hält schließlich in Nottuln, und das Mädchen steigt gemeinsam mit Helene und Lottchen aus, die Einzigen hier, sie schauen sich an, Helene ist unschlüssig, wohin sie sich wenden soll, das Mädchen nicht minder, und als es endlich einen Passanten fragt, wo die und die Anschrift zu finden sei, sagt Helene, dass sie genau da auch hinwollen, sie gehen zusammen, es sind vielleicht noch vierhundert Meter …
Glücklich ist sie über die Rückkehr des letzten Weihnachtsfestes und seiner Vorgeschichte. Das Mädchen Marlene hatte nach Ablauf der Zeit auch nach Berlin ziehen wollen, von Leipzig aus, sie war Absolventin des Literaturinstitutes und hatte gerade ein hoch geachtetes Debüt vorgelegt. Helene hatte ihr angeboten, die erste Zeit im Karlshorster Haus zu leben, bis sie eine geeignete und bezahlbare Wohnung gefunden haben würde. In S. blieb sie einen Monat länger als Helene, Matthes weißte eines der inzwischen, nach dem Auszug der Söhne, nur noch sporadisch genutzten Zimmer im Haus, sie hatten Bett, Tisch und Schrank wieder hineingeräumt, alles andere aber im Keller gelassen, und als Marlene kommen sollte, endlich, Ende Januar, hatte sie ihnen einen Absagebrief geschrieben: Sie hatte sich verliebt, konnte zu ihrer Freundin ziehen. Helene denkt an die Pause, die sie hatte einlegen müssen zwischen den Mitteilungen, dass Marlene sich verliebt hatte und dass sie zu ihrer Freundin ziehen würde.
Patricia fällt ihr ein, im Wohnheim, Medizinstudentin, vor so vielen Jahren. Sie war perplex gewesen, als Patricia, eine verheiratete Frau mit zwei Kindern, Helene nach einer Einladung zum Abendessen Liebe gestanden hatte, ihr Mann war nicht da, und Helene hatte sich das angehört und Patty einen Kuss auf die Stirn gedrückt, wortlos, war dann gegangen, während Patty mit tränenübervollen Augen dagesessen und ebenfalls nichts gesagt hatte, Helene war ihr von da an ausgewichen, aus dem Weg gegangen, immer scheu, immer dünner, als sie eigentlich war, und zwanzig Jahre später hatte Patricia plötzlich mit ihrer Frau vor Helenes Tür gestanden, nicht ohne Stolz und mit einer Würde, die sich gewaschen hatte. Ja, vor vier Jahren war das gewesen, sie hatten das neue Haus eben bezogen und waren dabei, Kisten und Kästen auszupacken, der Keller war überflutet, sie hatten eine Menge Ärger mit dem Bauträger auszustehen deswegen, konnten im Keller nichts lagern und fürchteten schon, die Feuchtigkeit würde sich im ganzen Haus ausbreiten. Mitten im schönsten Kladderadatsch hatte Patricia geklingelt, die Adresse hatte sie von einer Studienkollegin, zu der Helene Kontakt hielt, sie war extra von Eisenhüttenstadt hergekommen, um Helene wiederzusehen? Nicht ganz. Zwei Kinder waren zu den ersten beiden noch hinzugekommen, und diese, Zwillinge, sehr niedriges Geburtsgewicht, Retinopathie, besuchten in Berlin die Sehbehindertenschule seit einer Woche. Patricia hatte sie nach dem Wochenende zu Hause wieder hingebracht und die Gelegenheit genutzt, bei Helene vorbeizuschauen. (An die Namen der Jungen kann sie sich nicht erinnern, aber wer weiß, ob sie das unter anderen Umständen könnte.) Pattys Frau war Elektrikerin, sie hatte sie einfach »meine Frau« genannt, obwohl eine Lesbenhochzeit damals noch gar nicht möglich gewesen war, vielleicht waren sie ja in die Niederlande oder nach Dänemark gefahren, um zu heiraten, ging das überhaupt?, und Helene hatte der drahtigen Blonden sehr offen in die Augen sehen und sie schön finden können. Nach zwei Stunden hatte Helene den beiden nachgesehen, wie sie Hand in Hand die Straße vor dem Haus überquerten und zu

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