Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
mit Ziehen im Bauch zu verfolgen.
Zu verfolgen … War Maljutka Malysch abgetaucht vor ihr? Hatte sie sich gar in Sicherheit bringen müssen?
Sie schreibt eine kleine, unverfängliche Mail, mischt sie unter andere unverfängliche Mails, speichert sie auf Diskette und wird Matthes bitten, sie abzuschicken.
Heute muss sie dem Schadhaften bei der Physiotherapie zusehen, denn er wird in der großen Halle gleich auf der Matte neben ihrer beturnt. Sie bekommt Schmerzen. Sie staunt über das Maß der Einfühlung, das sie so nicht erwartet hätte. Seinen linken Fuß hat man nicht verkehrt herum ans Knie genäht. Sie erinnert sich, einen Film gesehen zu haben über ein Mädchen, das an Knochenkrebs erkrankt war. Bei ihr hatte die Therapieplanung so ausgesehen, dass die Beweglichkeit des verkehrt herum angenähten Fußes zu trainieren war, um später eine Prothese anzupassen, bei der die Ferse als Kniegelenk fungieren sollte. So etwas war sicher bei lange geplanten Operationen erfolgversprechend. Wenn sie den Schadhaften aber ansah, so musste der einen Unfall erlitten haben, denn er war auf einer Körperseite schwer verstümmelt worden. Bei solchen Unfällen war es sicher kaum möglich, ein Körperteil auf die Schnelle passgenau durch ein anderes zu ersetzen, noch dazu war es unwahrscheinlich, dass der betreffende Fuß so weit erhalten geblieben war, dass man es hätte versuchen können. Er trägt verschraubte Apparaturen mit einem großen Rad in den Knochen des lädierten Beines, das etwa fünfzehn Zentimeter unterhalb des Kniegelenkes amputiert wurde. Vermutlich, überlegt Helene, will man damit eine Dehnung, ein Knochenwachstum erreichen. Der Schmerz nimmt zu, ist auf der ganzen rechten Seite zu spüren, die sich zunehmend spastisch verzieht. Sie lässt willkürlich los, Arm und Bein fallen wieder flach auf die Matte, auf der sie liegt.
Gut, dass Sie das steuern können!
Helene liegt auf dem Rücken und soll versuchen, den rechten Arm irgendwie nach oben zu bringen. Als Hilfsmittel reicht die Therapeutin ihr schließlich eine kurze Stange, die sie mit der linken Hand greift, von der rechten umklammern lässt und sie anhebt. Die Physiotherapeutin fasst rechts zu, mit vereinten Kräften wird die klammernde Hand nach oben gezogen. Der Schadhafte weint inzwischen, Helene vermutet, dass er Schmerzen hat, denn sein Gesicht ist kläglich verzogen. Er soll beide Beine von Boden abheben, der Armstumpf drückt fest auf die Unterlage, seltsam sieht das aus. Der Therapeut scheint nachzugeben, legt dem Mann den Arm um die Schulter, hat aber wohl einen neuen Anschlag vor: Laufübungen. Mühsam wird er aufgerichtet. An einer Krücke, die auch hier natürlich nicht Krücken heißen, sondern Gehhilfen, am Armstumpf von seinem Therapeuten festgehalten, soll er einbeinig Schritte machen, er gerät jetzt richtig ins Heulen, will nicht mehr, wäre einfach hingefallen, wenn ihn niemand gehalten hätte. Schließlich lässt er sich wohl überreden, sich in einem Laufgerät festschnallen zu lassen, aus dem er nicht herausfallen kann. Das Laufband beginnt langsam, seine Schrittfrequenz ist niedrig, aber wenigstens trocknen seine Tränen.
Helene hat Mühe gehabt, währenddessen die Therapeutin nicht zu sehr spüren zu lassen, wie abwesend sie ist.
Sie hat Post bekommen, die erste Post direkt in die Klinik. Zu Hause hingegen ist der Briefkasten übergelaufen, Freunde und Verwandte haben Bestürzung geäußert und Glück gewünscht, Matthes bringt das Zeug regelmäßig mit, sie aber schaut es nicht an, gibt es ihm wieder. Spart sich das auf, sagt sie. Für wann, sagt sie nicht. Die erste Post hierher aber hat sie mit Begeisterung gelesen: Carla möchte kommen, hat sich schon mit der Klinikverwaltung ins Benehmen gesetzt. Wenn Helene nichts dagegen hat, würde sie in der nächsten Woche für ein paar Tage bei ihr bleiben, je nachdem, wie sie das aushält, denn sie müssten das Zimmer teilen. Carla bekommt ein Zustellbett.
Aushält?
Sie ist ihre langjährigste, liebste, vertrauteste Freundin! Von Maljutka Malysch aber hat sie ihr nichts erzählt … Auf einmal empfindet sie das als einen Vertrauensbruch Carla gegenüber, sie muss richtig aufpassen, dass sie nicht in den offenen Krater stürzt.
Ein Schwimmversuch.
Die Physiotherapeutin hat einen Badeanzug angezogen und will Helene mit einem Deckenlifter ins Wasser befördern. Die steht und hält sich am Rollstuhl fest, während die Therapeutin die Sitzmatte festschnallt. Es kann losgehen. Das Wasser
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