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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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sondern mit einem Chauffeur einen Preis dafür ausgehandelt hatte, dass er sie an drei Tagen dorthin fuhr, wo sie hinwollte. Hatte es in der Geschichte nicht um Thales und Anaximander gehen sollen, die sich um einen Schüler stritten? Im sechsten Jahrhundert vor Christus sollte der Roman spielen, und sie hatten Tränen gelacht, als sie mitbekamen, wann das Markttor gebaut worden war: im zweiten nachchristlichen! Maljutka hatte eine Anekdote zum Besten gegeben, die man sich von Thales erzählte. Um es den Leuten zu zeigen, die ihm seine Armut vorwarfen, hatte er eines Winters alle Olivenpressen Milets für sein bisschen Geld gemietet. Aus der Stellung der Sterne sollte er nämlich berechnet haben, dass die nächste Olivenernte sehr reichlich ausfallen würde. Zur Erntezeit waren also alle Pressen in seiner Hand. Er vermietete sie weiter und verdiente daran gut. Als sie das Museum verließen, hatte sich Maljutka eine Idee gewünscht, die der des Thales nahekäme und ihr bisschen Geld so vermehrte, dass sie endlich tun und lassen könnte, was sie wollte. Sie hatte die derben Wanderschuhe an, die sie sich für die Türkei gekauft hatte, und dachte an ihre Mutter, die ihr nicht nur für die Türkeireise, sondern auch zu anderen Begehrlichkeiten Geld zusteckte, wovon natürlich kein Amt etwas wissen durfte. Im Moment war sie blank, sie kehrte wie zum Beweis die Manteltaschen nach außen, weshalb sie sich lieber verabschieden wollte, ehe sie noch in die Verlegenheit käme, von Helene ins Café eingeladen zu werden. Aber Helene hatte sie plötzlich untergehakt und sie mitgezogen, hatte gespürt, dass sie sehr freiwillig mitkam. Sie waren in einer Kneipe am Prenzlauer Berg gelandet, hatten Wein getrunken und eine Kleinigkeit gegessen, als Maljutka sie plötzlich wieder so angesehen und geküsst hatte wie im Marschschatten der Muschelschale von Zinnowitz, hier interessierte das keinen, niemand hatte zu ihnen geschaut, und sie hatten nach eiligem Bezahlen nichts anderes zu tun gehabt, als holpernd zwei Häuser weiter in ein kleines Hotel zu stolpern. Nach einem Zimmer zu fragen. Man hatte eines. Maljutka hatte noch einmal versucht, an ihren akuten Geldmangel zu erinnern, aber Helene hatte nur ihre Kreditkarte hervorblitzen lassen. Später hatte sie sich zu Maljutkas Füßen herabsinken lassen und eben anfangen wollen, sie hastig aus den Kleidern zu ziehen, als ihr plötzlich die Nacht mit Matthes eingefallen war. Ob sie nicht nüchtern genug war oder ob plötzliche Traurigkeit ihr ins Handwerk pfuschte, weiß sie nicht genau zu sagen, jedenfalls stöhnte sie Matthes, Matthes!, und als Maljutka, die das wohl verstanden hatte, aber nicht verstanden haben wollte, innegehalten und sie angeschaut hatte, da war ihr zu Bewusstsein gekommen, was sie gesagt hatte. Sie hatte nun Maljutkas Mund verschlossen, als wäre der es gewesen, der solcherart Namen gestöhnt hätte, hatte Maljutka vergessen machen wollen, was sie da mit eigenen Ohren gehört hatte, und trotzdem hatte sich Matthes nicht mehr wegdrängen lassen aus den zersplitterten Gedanken, die ihr noch kamen.
Als sie am nächsten Morgen aufgewacht waren, nebeneinander, Maljutkas Arm auf ihrer Brust, da war es Maljutka gewesen, die gesagt hatte, sie sei eben kein besserer Kerl als Matthes. Bedauernd hatte sie es gesagt, und bedauernd hatte ihr Gesicht ausgesehen, das Helene in Erinnerung hat, als sei Maljutka eben aus dem Zimmer gegangen. Aber sie ist im März aus dem Zimmer gegangen, aus dem Hotelzimmer, mit der bedauernden Ansage, Helene den Kerl nicht ersetzen zu können, und Helene spürt jetzt wieder die Kälte, die dieser Satz über sie gebracht hatte, die Härchen hatten sich aufgerichtet auf den Armen. Das war so geblieben, als sie später alleine die Treppe hinunterging und das Hotelzimmer bezahlte, mit der S-Bahn nach Karlshorst fuhr, in die Arberstraße. Zum Glück waren Matthes und die Töchter nicht da gewesen, denn es war ein ganz normaler Arbeitstag, Dienstag?, Mittwoch?, und sie hatte sich erst einmal in die Badewanne gelegt und immer wieder heißes Wasser nachlaufen lassen, immer wieder, aber die Kälte war geblieben und war auch dann nicht vergangen, als Matthes von der Arbeit gekommen war. Sie war krank geworden, eine heftige Grippe hatte sie es genannt und hatte es doch besser gewusst, hatte Matthes etwas vorgelogen, dass sie ihre Freundin Kerstin zufällig getroffen hätte, sie hätten zu schnell zu viel Wein getrunken, als dass sie dem Grappa danach seine

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