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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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krankgeschrieben ist, sondern sich in einer vom Rententräger bezahlten Rehabilitationsmaßnahme befindet, ist es möglich, eine Haushaltshilfe für zu Hause zu ordern.
Das wäre doch nicht schlecht, oder?
Das wäre nicht schlecht, in der Tat. Die Sozialarbeiterin füllt aus, Helene unterschreibt. Krakelig, hochschießend, verheerend, aber die Frau sagt nichts dazu. Die Rentenfrage? Nein, dafür ist es zu früh, das möchte sie mit ihrem Mann besprechen, die Rentenfrage hat sie sich noch nie gestellt, kann sie denn überhaupt? Als Freischaffende? Sie kann, hat den richtigen Geburtsjahrgang, die Pflichtversicherung lässt das zu. Aha. Aber da warten wir lieber ab, das entscheiden wir noch nicht jetzt, immerhin ist gerade ihr zweiter Roman erschienen, ist dieser Tage an den Buchhandel ausgeliefert worden! Natürlich, die Buchmesse! Das wird ihr aber jetzt zu viel, die Haushaltshilfe, der Roman, die Rentenfrage, die Buchmesse, Matthes hat von Fernsehteams erzählt, die sie zu Hause hatten besuchen wollen, jetzt fällt es ihr ein, fällt ihr auch ein, dass sie Lesetermine hatte, im Oktober, November, in Freiburg, Schwerin, Regensburg, Leipzig, viele Lesetermine hatte sie, sie muss das unbedingt mit Matthes besprechen, nicht mit dieser Sozialarbeiterin, wann wird die denn fertig sein, wovon redet die überhaupt gerade?
Hallo, hören Sie mich?
Ja. Helene hört sie. Bittet um Aufschub. Sei erschöpft. Die Haushaltshilfe ist doch ganz gut, alles Weitere wird sich finden.
Na, wenn sie meint?
Sie meint.
Kaum ist die Frau weg, traut sie sich, den Telefonhörer abzunehmen. Zum ersten Mal. Wählt wie von selbst ihre eigene Nummer, wartet. Es piept. Schließlich springt der Anrufbeantworter an.
Hallo? Matthes. Als sie zu sprechen beginnt, fällt er ihr ins Wort: Ach ja, stimmt, es ist ja niemand zu Hause … Aber sagen Sie ruhig,weshalb Sie zum Hörer gegriffen haben, wir rufen bald zurück. Matthes hat mit tiefer, sonorer Stimme gesprochen, sie hat das noch nie gehört. Erneuter Piepton. Helene legt auf, hat Angst vor der Aufzeichnung ihrer aufgeregten Fehler beim Sprechen, ihrer Zwangspausen und Konsonantenverschlinger. Nein, die soll Matthes nicht hören. Die sollen die Kinder nicht hören müssen, wenn sie den Anrufbeantworter abfragen nach dem Betreten der Küche.
Schade. Natürlich, es ist Vormittag, Matthes ist auf Arbeit, die Kinder sind in der Schule. Lottchen im Kindergarten.
Nichts zu machen.

Pietro ist da! Das ist aber schön. Als hätte er geahnt, dass sie in den letzten Tagen oft an ihn gedacht hat, an das Dorf, an Andreas … Hätte ihr Matthes nicht wenigstens Bescheid geben können, dass er vorhat zu kommen? Dann hätte sie doch nicht so ungekämmt um die Mittagsstunde im Bett gelegen und auf nichts gewartet als auf Matthes … Nun ist aber Pietro da, und sie meint, dass sie aufspringen und sich schnell mal ’n bisschen anhübschen gehen müsse, aber natürlich springt sie nicht auf, sondern erhebt sich angemessen angestrengt, sehr langsam, und sie geht sich auch nicht schnell mal ’n bisschen anhübschen , sondern kraucht, sehr langsam, mit dem Rollator ins Bad. Wenn sie aufsteht, braucht sie immer einige Zeit, bis die Gelenke geschmiert, die Muskeln eingespielt sind. Es dauert. Im Bad wühlt sie in der Waschtasche nach einer Parfümprobe, die ihr plötzlich einfiel, sie hatte sie aus Indien mitgebracht und noch nie benutzt, sie müsste eigentlich noch in einem der Seitenfächer … Ihre Finger ertasten ein längliches Etwas, das kennt sie nicht, kann sich jedenfalls nicht erinnern, sie zieht es heraus. Maljutka Malyschs Muranoglasspange, golden und braun gesprenkelt, mit Spritzern von Rot darin. Wie kommt die denn in diese Tasche? Es brennt in ihrer Hand. Sie möchte den Schmerz auskosten, drückt fester, aber da kühlt es ab. Kurz entschlossen zwängt sie ihr verbliebenes Haar in die Spange, zupft den Restpony über die Narbenseite. Nun brennt es am Hinterkopf, aber sie weiß ja, dass es abkühlen wird. Röte macht sich bemerkbar, klettert den Halsausschnitt ihrer Bluse empor und verkleckert sich im Gesicht, sie lässt eiskaltes Wasser in die Hände laufen und wirft es an die Wangen, wieder und wieder, rubbelt sich dann mit dem Frottiertuch trocken. So, jetzt ist die Kleckerröte einer Komplettrötung gewichen, sie kann Pietro unter die Augen treten. Die Parfümprobe hat sie vergessen.
Pietro pendelt zwischen Berlin, Anklam und dem Dorf. In Anklam ist er am Theater beschäftigt, im Dorf wohnt er. In Berlin

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