Du stirbst zuerst
als Sie zu überwachen, weil für sie niemand sonst existiert. Das Zentrum und der ganze Umkreis Ihrer eingebildeten Welt sind Sie selbst.«
»Hören Sie auf damit!« Meine Wangen glühen, und ich werde wütend. Ich hole tief Luft und bemerke erst jetzt, dass ich die Fäuste geballt habe. »Wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann gehen Sie einfach.« Wen habe ich noch, wenn Vanek mir nicht glaubt und Lucy etwas Schreckliches zugestoßen ist?
Vanek starrt mich lange und schweigend an. Schließlich nickt er. »Sie haben recht«, sagt er. »Ich kann Sie nicht überzeugen, dass Ihre Realität nicht existiert. Das wird mir bei Ihnen so wenig wie bei jedem anderen Menschen gelingen. Genau deshalb ist dieser Zustand so schwer zu behandeln.«
»Dann lassen Sie mich doch gehen.«
»Wie ich schon sagte, Michael, das liegt nicht in meiner Macht. Sobald Sie in Powell sind, wird man einige Tests durchführen – nichts Schmerzhaftes, keine Sorge –, und wenn sich Sardinhas Diagnose bestätigt, bekommen Sie ein Mittel gegen die Psychose.«
»Ich will nicht unter Drogen gesetzt werden.«
»Dann seien Sie nicht mehr schizophren«, entgegnet er. »Das sind die beiden einzigen Möglichkeiten, die Sie noch haben.«
»Wir könnten es mit einer Therapie versuchen«, schlage ich vor.
»Oh, eine Therapie ist sowieso vorgesehen«, erklärt er. »Aber erst, nachdem die Medikamente ein wenig Platz geschaffen haben. Die Psychotherapie soll ungesunde Denkprozesse heilen. Ihre Denkprozesse sind aber leider völlig gesund – sie beruhen nur auf falschen Annahmen.«
»Dann bin ich zugleich verrückt und nicht verrückt?«
»Willkommen im Reich der Schizophrenie«, sagt Vanek. »Die Fähigkeit Ihres Gehirns, mit sich selbst zu sprechen – und so erledigt es seine Arbeit –, beruht auf den Substanzen Dopamin und Serotonin. Keine Psychotherapie der Welt kann den Einfluss dieser Substanzen auf Ihr Gehirn verändern. Das können nur Medikamente vollbringen. Sobald der richtige Wirkstoff und die richtige Dosierung gefunden sind, verschwinden die Verzerrungen aus Ihren Denkprozessen, und mit ihnen auch die Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Dann erst kann eine Therapie einsetzen, die auf Ihre sozialen Fähigkeiten, Ihre Lebenstüchtigkeit und so weiter abzielt. Sie lernen dann, wieder in der normalen Welt zu leben.«
»Also setzt man mich einfach unter Drogen, bis ich aufhöre, etwas darüber zu erzählen, was ich sehe.«
»Wenn Sie möchten, können Sie das so darstellen«, sagt Vanek und hebt die Hände. »Wie Sie darüber denken, spielt im Grunde keine Rolle, oder? Ihr Gehirn ist kaputt.«
»Gibt es eigentlich noch schlimmere Therapeuten als Sie?«
Vanek runzelt die Stirn. »Ich bin nicht Ihre Mutter.«
»Ich habe keine Mutter mehr.«
»Tragisch, aber bedeutungslos. Sie sind zwanzig Jahre alt, Michael, und ich bin nicht gekommen, um Sie zu verhätscheln. Ich bin hier, um die Mitarbeiter anzulächeln, ein paar Dokumente zu unterzeichnen und Sie nach Powell zu überstellen.«
»Kommen Sie denn mit?«
»Ich werde nicht dort bleiben. In der Klinik gibt es genug gute Ärzte.«
»Aber ich bin doch Ihr Patient, oder? Sie sind mein persönlicher Therapeut.«
»Ich bin der Therapeut, den Sie seit sechs Monaten nicht mehr aufgesucht haben. Das war ein Versuch, der leider fehlgeschlagen ist. Wenn Sie gesund werden wollen, sollten Sie mit Doktor Little anders umgehen als mit mir und auf ihn hören.« Er steht auf. »Ich sage draußen Bescheid, dass Sie bereit sind.« Als er zur Tür geht, habe ich das Gefühl, ein Teil von mir – ein Teil meines Lebens und meine Freiheit – würden mir entrissen. Ich kann nicht zulassen, dass man mich in einer Irrenanstalt einsperrt. Ich muss mir etwas einfallen lassen.
»Warten Sie!«, rufe ich. Er hält inne und wendet sich zu mir um. »Sagen Sie … sagen Sie ihnen, dass ich noch nicht verlegt werden kann. Mit mir stimmt etwas nicht.« Ich zermartere mir das Hirn. »Der Gedächtnisverlust! Machen Sie das geltend. Mein Erinnerungsvermögen ist gestört, und deshalb muss ich in einem normalen Krankenhaus bleiben, bis der Grund dafür gefunden ist.«
»Gerade eben haben Sie noch darum gebettelt, hier herauszukommen, und jetzt wollen Sie bleiben?«
»Das ist immer noch besser als eine Irrenanstalt.«
»Leider kann ich nichts mehr für Sie tun.«
»Erklärt die Schizophrenie den Gedächtnisverlust?«
»Nein …«
»Dann sagen Sie ihnen, ich kann hier nicht weg, solange die Ursache nicht
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